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  • 24.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Digitalisierung erzwingt Absicherung, Versorgung verschiebt Verantwortung, Systemgrenzen brechen auf
    24.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Digitalisierung erzwingt Absicherung, Versorgung verschiebt Verantwortung, Systemgrenzen brechen auf
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Digitale Verantwortung, ethische Debatten, Systemdruck: Apotheken stehen im Zentrum der Transformation. EPA, Saxenda-Zulassung, Entbudgeti...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Digitalisierung erzwingt Absicherung, Versorgung verschiebt Verantwortung, Systemgrenzen brechen auf

 

Wie Apotheken zwischen EPA-Risiken, politischer Symbolpolitik und ethischen Therapiedebatten bestehen müssen

Die digitale Patientenakte beschleunigt Abläufe, aber verschärft zugleich die Haftungsrisiken für Apotheken, die zwischen Datenschutzpflicht und Versorgungsdruck manövrieren müssen, während politische Gesten wie Abgeordnetenbesuche oder Führungswechsel kaum ausreichen, um den realen Strukturzerfall aufzuhalten; zugleich bringt die Saxenda-Zulassung für Kinder eine ethische Zäsur, die Entbudgetierung verunsichert Hausarztpraxen, die GKV-Finanzlage droht zu kollabieren – und Studien zu personalisierten Impfstoffen, GLP-1 und Antibiotikaresistenzen zeigen, dass medizinischer Fortschritt oft schneller ist als die gesellschaftliche Realität, in der Prävention scheitert, Symptome sich häufen und Apotheken als letztes stabiles Glied im System immer mehr auffangen müssen.

 

EPA schafft Tempo, erhöht Risiko, verlangt Verantwortung

Wie digitale Patientenakten Apotheken transformieren, Sicherheitslücken sichtbar machen und Versicherungsschutz zur Pflicht wird

Die elektronische Patientenakte (EPA) ist nicht länger ein Zukunftsversprechen, sondern beginnt, sich als integraler Bestandteil des deutschen Gesundheitswesens zu etablieren – mit wachsender Dynamik und ebenso wachsendem Risiko. Die Zahlen, die die Gematik nun vorgelegt hat, sind eindeutig: Innerhalb weniger Wochen wurden in medizinischen Einrichtungen rund 50 Millionen Aktenzugriffe registriert, bis zu sechs Millionen pro Tag. Hinzu kommen täglich etwa 1,5 Millionen digitale Medikationslisten, die abgerufen werden. Was nach einem technischen Fortschritt klingt, ist zugleich ein Paradigmenwechsel, der nicht nur Prozesse verändert, sondern auch Verantwortlichkeiten neu ordnet – und Apotheken unmittelbar betrifft.

Denn mit der schrittweisen, aber nun flächendeckend anlaufenden Einführung der EPA ab dem 29. April 2025 ist klar: Die Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) ist kein bloßer Service, sondern eine Verpflichtung zur digitalen Interaktion auf Augenhöhe. Bereits heute sind 46.000 medizinische Einrichtungen in der Lage, mit der EPA produktiv zu arbeiten – das sind knapp 30 Prozent aller bundesweit erfassten Versorgungseinrichtungen. Die anderen werden folgen müssen. Dabei reicht es nicht, technische Schnittstellen bereitzustellen. Es braucht geschulte Teams, saubere Zugriffskonzepte und vor allem eins: eine belastbare Sicherheitsstrategie gegen Cyberangriffe, Datenverluste und Vermögensschäden. Wer hier nicht antizipiert, wird im Ernstfall teuer zahlen.

Denn die EPA bringt nicht nur Nutzen – sie exponiert. Der Zugriff auf sensible Gesundheitsdaten, die Integration von Medikationslisten, Labordaten, Arztbriefen, Notfalldaten oder Impfstatus in ein vernetztes System, macht Apotheken zu aktiven Knotenpunkten digitaler Informationsflüsse. Diese Knotenpunkte sind Angriffspunkte. Hacker benötigen keine Rammböcke – sie brauchen Schwachstellen in der Zugangskontrolle, veraltete Firewalls oder ungeschützte Mobilgeräte. Eine einzelne Schwachstelle reicht, um Patientendaten zu kompromittieren, Abläufe lahmzulegen und Vertrauen zu zerstören. Und hier beginnt die juristische und ökonomische Verantwortung der Apothekenbetreiber.

Eine Cyber-Versicherung ist daher keine Kür mehr, sondern Pflicht. Sie muss Angriffe von außen, aber auch menschliche Fehler, etwa durch Phishing, Social Engineering oder interne Sicherheitsversäumnisse, mit abdecken. Ebenso essenziell ist eine Vertrauensschadenversicherung, die vor allem bei Vermögensschäden durch eigene Mitarbeitende greift. In einer EPA-basierten Infrastruktur wird nicht nur der Diebstahl von Kassenbeständen oder Rezepten relevant, sondern auch der Missbrauch von Zugriffsrechten, Manipulation von Medikationslisten oder das widerrechtliche Löschen von Patientendaten. All das kann massive Rückforderungen, Bußgelder oder auch zivilrechtliche Klagen nach sich ziehen – und in der Haftung steht immer der Betreiber.

Die Frage, ob Apotheken diese Risiken realistisch einschätzen, ist also keine hypothetische. Die EPA zwingt alle Beteiligten zu einem aktiven Risikomanagement: Wie werden Datenzugriffe protokolliert? Welche Mitarbeitenden erhalten welche Rechte? Gibt es Mehrfaktorauthentifizierung? Werden Sicherheitsvorfälle regelmäßig simuliert, etwa durch sogenannte Penetrationstests? Apotheken, die weiterhin auf Standardlösungen setzen, laufen Gefahr, ihre digitale Sorgfaltspflicht zu verletzen – mit rechtlichen, finanziellen und auch versicherungsrelevanten Folgen. Versicherungen leisten nur dann vollumfänglich, wenn Präventionsstandards eingehalten werden.

Florian Fuhrmann von der Gematik bezeichnet die aktuelle Entwicklung als Meilenstein – zurecht, aber eben nicht nur mit Blick auf Effizienz oder Patientenkomfort. Die EPA ist auch ein Meilenstein in Richtung Systemverantwortung: Sie verlangt von jedem angeschlossenen Akteur – ob Praxis, Klinik oder Apotheke – einen neuen Umgang mit Daten, Sicherheit und Compliance. Die Medikationsliste mag ein erstes sichtbares Anwendungsbeispiel sein, das zeigt, wie digitale Anwendungen helfen können, Doppelverordnungen zu vermeiden oder Wechselwirkungen zu erkennen. Doch diese digitalen Werkzeuge haben nur dann einen nachhaltigen Wert, wenn sie auf einem stabilen Fundament stehen.

Und dieses Fundament muss Apothekenteams nicht nur technisch, sondern auch mental mittragen. Digitalisierung bedeutet nicht nur Software und Hardware, sondern auch klare Rollenverteilungen, Schulungszyklen, Alarmpläne und Zuständigkeiten für Vorfälle, deren Eintritt nicht mehr ausgeschlossen, sondern vorausgesetzt werden muss. Der Glaube, man sei „zu klein“, um Ziel eines gezielten Angriffs zu sein, ist gefährlich. Gerade in vernetzten Systemen reicht ein Schwachpunkt – und der kann überall liegen. Auch im Botendienst, am Kassenplatz oder in der Rezeptur.

Dass die EPA selbst einen hohen regulatorischen Schutzrahmen bietet, ist unbestritten. Doch Schutz entsteht nicht durch Vorschriften allein. Er entsteht durch das Zusammenspiel aus Vorsorge, Aufklärung und Absicherung – auch durch Versicherungen, die mehr sind als Pflichtpolicen, sondern Teil einer Gesamtstrategie. Wer diese Verantwortung nicht übernimmt, handelt fahrlässig – und überlässt Patientinnen und Patienten einem System, das zwar digital vernetzt, aber unter Umständen analog scheitert. Apotheken sind gefordert, nicht nur Medikamente, sondern auch Sicherheit mit auszuliefern.

 

Abnehmen im Kindesalter, Verantwortung in der Debatte, Ethik in der Spritze

Warum Saxenda für Sechsjährige zugelassen werden soll und was wir wirklich diskutieren müssen

Noch ist nichts endgültig entschieden, aber mit der jüngsten Zulassungsempfehlung der EMA steht ein Paradigmenwechsel kurz bevor: Saxenda®, das Liraglutid-Präparat von Novo Nordisk, soll künftig auch bei Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren mit Adipositas eingesetzt werden dürfen. Es wäre die erste GLP-1-basierten Injektionstherapie, die explizit für diese Altersgruppe zugelassen ist – und damit eine medizinische Antwort auf ein wachsendes gesellschaftliches Problem, das längst nicht mehr nur mit Ernährung und Bewegung allein erklärbar ist. Was sich hier abzeichnet, ist eine medizinethische Zäsur, die auf vielen Ebenen verhandelt werden muss: klinisch, regulatorisch, sozial und symbolisch.

Adipositas im Kindesalter ist längst keine Randerscheinung mehr. Nach Daten des Robert-Koch-Instituts gelten in Deutschland etwa zwei Millionen Kinder als übergewichtig, 800.000 davon als adipös. Wer heute die schulmedizinische Diagnose Adipositas stellt, muss nicht mehr lange nach Ursachen fahnden – die multifaktoriellen Gründe sind seit Jahren bekannt: ein Zuviel an Kalorien, ein Zuwenig an Bewegung, strukturelle Ernährungslosigkeit, sozioökonomische Belastungen, genetische Prädispositionen und digitale Freizeitwelten, die das Sofa attraktiver erscheinen lassen als den Spielplatz. Doch was folgt daraus? Reicht Aufklärung? Reicht Intervention? Reicht überhaupt noch irgendetwas ohne pharmakologische Unterstützung?

Die Zulassungserweiterung für Liraglutid rührt genau an diesen Punkt. Ursprünglich als Antidiabetikum zur Behandlung des Typ-2-Diabetes entwickelt, wurde der GLP-1-Agonist 2016 unter dem Handelsnamen Saxenda® zur Gewichtsregulation bei Erwachsenen mit Adipositas zugelassen – unabhängig von einer Diabetesdiagnose. Schon damals war die mediale und gesellschaftliche Debatte lebhaft. Seit 2021 ist die Anwendung auch bei Jugendlichen zwischen zwölf und siebzehn Jahren erlaubt, nun folgt der nächste Schritt: eine Ausweitung auf Kinder ab sechs Jahren. Die EMA stützt sich dabei auf Studiendaten, die vergleichbare Sicherheits- und Wirksamkeitsprofile wie bei älteren Gruppen nahelegen. Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Durchfall seien beherrschbar, das Gewicht lasse sich signifikant reduzieren – sofern die Adhärenz stimme und die Therapie korrekt begleitet werde.

Doch was bedeutet „korrekt begleitet“ bei einem sechsjährigen Kind? Wer übernimmt die Entscheidung, ob ein junger Mensch in einem empfindlichen Entwicklungsfenster wöchentlich injiziert werden soll, um Gewicht zu verlieren? Die Zulassungskriterien erscheinen klar und zugleich anspruchsvoll: Ein BMI oberhalb der 95. Perzentile im Vergleich zu Gleichaltrigen, kombiniert mit einem Körpergewicht von mindestens 45 Kilogramm. Ein durchschnittliches Kind in diesem Alter wiegt hingegen nur rund 20 Kilogramm. Das heißt: Nur besonders schwer adipöse Kinder kommen überhaupt in Frage. Doch damit beginnt die Grauzone erst.

Die potenzielle Expansion des Einsatzbereichs von GLP-1-Analoga bei Kindern wird auch zur Projektionsfläche grundsätzlicher Fragen: Was ist noch Prävention, was bereits Medikalisierung des kindlichen Körpers? Welche Rolle spielt die Verantwortung der Eltern, welche Verantwortung trägt das System? Wer profitiert, wer verliert? Dass Novo Nordisk als Marktführer seine Pipeline konsequent nach unten erweitert, ist betriebswirtschaftlich plausibel – aber damit wird die kindliche Adipositas vom gesamtgesellschaftlichen Problem zum individuellen Therapiefall im Arztzimmer. Der Schritt birgt auch die Gefahr, dass strukturelle Ursachen – schlechte Ernährung in Schulmensen, inadäquate Bewegungsangebote, überforderte Familien – weniger Beachtung finden, weil es nun einen Wirkstoff gibt.

Gerade deshalb betonen medizinische Fachgesellschaften, dass Saxenda® keinesfalls als Ersatz, sondern stets nur als Ergänzung zu Lebensstilinterventionen verordnet werden dürfe. Ernährung, Bewegung, Verhaltenstraining – das bleibt das Fundament. Aber es ist ein Fundament, das bröckelt, wenn Eltern überfordert sind, Schulen keine Ernährungsbildung leisten können und soziale Medien ein verzerrtes Bild von Körpernormen vermitteln. Die Injektion kann dabei helfen, Gewicht zu reduzieren. Doch sie kann keine Familie stabilisieren, keine Kita-Küche reformieren, keine Instagram-Welt korrigieren. Und sie kann vor allem kein Ersatz für eine politische Auseinandersetzung mit den Ursachen sein, die diese Pandemie der Pfunde überhaupt erst hervorgebracht hat.

Wenn die Zulassung erfolgt, wird Saxenda® für eine ganz neue Altersgruppe verfügbar – mit allen medizinischen Chancen, aber auch den politischen, ethischen und sozialen Spannungen, die daraus resultieren. Therapieziel ist eine Reduktion des BMI um mindestens 4 Prozent innerhalb von zwölf Wochen unter maximaler Dosis – sonst soll die Behandlung laut Fachinformation abgebrochen werden. Das klingt kontrolliert, nachvollziehbar, therapeutisch stringent. Aber es bleibt die Frage, ob solche Kontrollmechanismen in der Praxis halten, was sie versprechen – vor allem in einem Lebensabschnitt, in dem Selbstwirksamkeit, Körpergefühl und Ernährungskompetenz noch im Aufbau begriffen sind.

Saxenda für Sechsjährige – das klingt nach medizinischem Fortschritt und nach einem dramatischen Symptom zugleich. Denn wer an einem Punkt angelangt ist, an dem Grundschulkinder Spritzen brauchen, um Gewicht zu verlieren, darf sich nicht nur auf die Wirkung der Ampulle verlassen. Dann geht es um mehr als Arzneimittel – es geht um Verantwortung: individuell, familiär, institutionell und gesellschaftlich. Die Zulassung mag ein neues Kapitel der Adipositastherapie aufschlagen. Aber sie darf nicht die letzte Seite eines politischen Kapitels sein, das noch geschrieben werden muss.

Nicht zufällig fordern Experten parallel zur medizinischen Erweiterung endlich spürbare politische Reformen: gesetzlich verbindliche Lebensmittelkennzeichnungen, ein umfassendes Werbeverbot für Junkfood in Formaten mit Kinderschwerpunkt, eine institutionalisierte Vermittlung von Ernährungskompetenz in Kitas und Grundschulen. Ohne diese flankierenden Maßnahmen besteht die Gefahr, dass eine eigentlich therapeutisch sinnvolle Option zur Alibistrategie wird – mit dem bequemen Nebeneffekt, die eigentlichen Ursachen im Dunkeln zu lassen.

 

Politik hört zu, Apotheken klagen, Existenz wankt

Was Ebmeyers Besuch in Enger zeigt – und was Betreiber jetzt absichern müssen

Wenn ein Bundestagsabgeordneter eine Apotheke besucht, dann ist das häufig mehr als symbolische Geste – es ist ein seltenes Fenster für Klartext. Joachim Ebmeyer (CDU) hat dieses Fenster in Enger genutzt, um sich von Jens Kosmiky, Inhaber der Mühlen-Apotheke und Vorstandsmitglied im Apothekerverband Westfalen-Lippe, erklären zu lassen, was viele politischen Entscheidungsträger noch immer zu ignorieren scheinen: Das Apothekensterben ist kein abstrakter Prozess, sondern ein konkreter Rückbau der gesundheitlichen Infrastruktur vor Ort. Ebmeyers Formulierung, Apotheken seien „unabdingbar“, mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, ist aber in der aktuellen Situation eine politische Festlegung mit Sprengkraft – insbesondere, wenn sie aus dem Mund eines Regierungsvertreters stammt.

Denn wie Kosmiky klarstellt, ist der Hauptgrund für das Sterben der Apotheken seit Jahren dieselbe strukturelle Schieflage: die chronische Unterfinanzierung. Staatlich gedeckelt, jahrzehntelang nicht angepasst und inzwischen von Inflation, Personalkosten und Betriebsausgaben überrollt, ist das Fixum der größte Kostenverursacher im System – nicht für die Krankenkassen, sondern für die Apotheken selbst. Jeder Notdienst, jede Rezeptbelieferung, jedes Beratungsgespräch wird zur Gratwanderung zwischen Pflichtgefühl und wirtschaftlicher Selbstgefährdung. Dass inzwischen sieben Prozent der Betriebe defizitär arbeiten und ein Viertel als „stark gefährdet“ gilt, ist eine Entwicklung, die nicht mehr mit strukturellem Optimismus oder einem bloßen Bürokratieabbau eingefangen werden kann. Es geht um die Existenz der wohnortnahen Arzneimittelversorgung.

Der politische Kontext, den Ebmeyer anzusprechen versucht – Koalitionsverantwortung, Bürokratieentlastung, Fachkräftemangel – greift zwar an mehreren sinnvollen Punkten an, bleibt aber im Handlungskorridor der Zeitverzögerung stecken. Die Apotheken brauchen keine wohlmeinenden Besuche, sondern Entscheidungen mit fiskalischem Effekt. Was Kosmiky vorschlägt, ist kein Wunschzettel, sondern eine Sofortmaßnahme: eine Honorarerhöhung, bevor weitere Apotheken schließen – nicht danach. Der Unterschied liegt im Vorzeichen der politischen Steuerung: Reagieren oder gestalten.

Für Apothekenbetreiber ergibt sich daraus eine doppelte Verantwortung: Sie müssen ihren wirtschaftlichen Status nicht nur stabilisieren, sondern auch gegenüber Politik, Verbänden und Öffentlichkeit deutlich machen, dass das Geschäftsmodell „Apotheke“ nicht mehr im Hintergrundrauschen funktioniert. Standortanalysen, betriebswirtschaftliche Frühwarnsysteme, gezielte Rücklagenbildung und Versicherungsprüfungen sind ebenso unerlässlich wie eine strategische Positionierung als Versorgungsakteur – nicht als Kostenträger dritter Ordnung. Wer heute eine Apotheke führt, betreibt nicht mehr nur Gesundheitsversorgung, sondern auch politische Aufklärung.

Wer nicht aktiv kommuniziert, wird passiv verwaltet – und droht im nächsten Strukturgutachten als überflüssige Kapazität zu erscheinen. Insofern ist jeder Austausch mit der Politik, wie der Besuch von Ebmeyer in Enger, auch ein Prüfstein: Wer überzeugt, kann Gestaltung einfordern. Wer schweigt, wird umgestaltet. In Zeiten strukturellen Apothekensterbens reicht es nicht, „da zu sein“. Entscheidend ist, was man tut, um bleiben zu dürfen.

 

Warken übernimmt, Strukturen bleiben, Gleichstellung stagniert

Wie die neue Frauen-Union-Vorsitzende antritt, während Männergremien Macht behalten und Reformen im System versanden

Mit der Wahl von Nina Warken zur Vorsitzenden der Frauen-Union der CDU wird ein Wechsel vollzogen, der oberflächlich einen Aufbruch signalisiert, in der Tiefe jedoch die strukturellen Grenzen weiblicher Wirksamkeit in der Partei offenlegt. Die 46-jährige Bundesgesundheitsministerin setzte sich beim Bundesdelegiertentag in Reutlingen mit 62,1 Prozent der Stimmen gegen Ina Scharrenbach durch – ein klarer Sieg in einer Kampfabstimmung, der aber weniger von innerparteilicher Einigkeit als von der Notwendigkeit kündet, dass Frauen in der CDU ihre Führungsansprüche nach wie vor gegeneinander durchsetzen müssen, weil systemisch kaum Raum für mehrere Spitzenfiguren gleichzeitig existiert.

Die neue Vorsitzende übernimmt das Amt von Annette Widmann-Mauz, die nach zehn Jahren nicht erneut kandidierte – und dabei mit bemerkenswerter Offenheit auf die Defizite der Partei hinwies. In ihrer Abschiedsrede beklagte sie, dass entscheidende Gremien der CDU weiterhin von Männern dominiert werden. Nur vier der zwanzig Mitglieder im geschäftsführenden Fraktionsvorstand sind weiblich, und von 23 Arbeitsgruppen im Bundestag werden lediglich vier von Frauen geführt. Der Frauenanteil im Parteipräsidium liegt bei 44 Prozent, doch dort, wo politische Richtungsentscheidungen getroffen werden – im Koalitionsausschuss, im Kanzleramt, in den zentralen Ministerien – dominieren weiterhin Männer. Selbst im engsten Führungskreis um Kanzler Friedrich Merz ist keine Frau vertreten.

Diese Realitäten kontrastieren scharf mit den öffentlichen Bekenntnissen zur Gleichstellung und der programmatischen Ausrichtung der Frauen-Union. Warken selbst betonte in ihrer Antrittsrede, dass mehr weibliche Perspektiven in der Politik notwendig seien, und forderte, die Frauen-Union als aktive Kraft im politischen Geschehen zu positionieren. Doch dass sie als Bundesministerin zusätzlich das Amt der Vorsitzenden übernimmt, wirft zugleich Fragen nach der strukturellen Doppelbelastung auf. Es ist kaum vorstellbar, dass sie parallel weiterhin als Generalsekretärin der CDU Baden-Württemberg den Landtagswahlkampf 2026 führen kann – und genau darin zeigt sich die systemische Engführung: Frauen, die aufsteigen, übernehmen häufig nicht eine, sondern mehrere zentrale Funktionen – nicht weil es effizient ist, sondern weil die Öffnung institutioneller Räume ausbleibt.

Der Wahlkampf war kein Signal der Einheit, sondern eine Demonstration parteiinterner Engstellen. Während Männer in der CDU Macht untereinander aufteilen, müssen Frauen sie gegeneinander erkämpfen. Die Rede von Bundesfamilienministerin Karin Prien verdeutlichte, dass es der Partei nicht an qualifizierten Frauen mangelt – sondern an einer Struktur, die deren Aufstieg fördert, statt ihn zu verwalten. Dass Warken sich in einem traditionsreichen Verband wie der Frauen-Union durchsetzt, ist Ausdruck ihrer persönlichen Durchsetzungskraft. Doch es bleibt zweifelhaft, ob dieser Erfolg systemisch etwas verändert, solange die Gremien, in denen Politik tatsächlich gestaltet wird, nahezu ausnahmslos männlich bleiben.

Warken übernimmt ein politisches Amt mit Prestige, Einfluss und Symbolkraft – doch ihre Wirksamkeit wird sich nicht allein an ihrer Rhetorik messen lassen, sondern an der Bereitschaft der CDU, die internen Machtverhältnisse substanziell zu verändern. Solange strategische Ministerien, der Koalitionsausschuss und der Kanzlerkreis Frauen ausklammern, bleibt die Gleichstellung ein Projekt mit Schönwetterstrategie, aber ohne strukturelle Bodenhaftung. Die Frauen-Union ist modern in ihrer Außendarstellung, kampagnenfähig in sozialen Medien und thematisch anschlussfähig – doch was fehlt, ist die Übertragung dieser Wirksamkeit in parteiinterne Entscheidungen.

Warken will die Frauen-Union aus der Rolle der Kommentatorin in die Rolle der Mitgestalterin führen. Doch der Preis dafür ist hoch, wenn zugleich Generalsekretariat, Bundesministerium und Vorsitzende eines der größten CDU-Verbände in Personalunion geführt werden sollen. Diese Verdichtung weiblicher Verantwortung ist nicht Ausdruck von Stärke, sondern Resultat begrenzter struktureller Offenheit. Es gibt in der CDU keine Redundanz weiblicher Macht – sie ist singularisiert, überfrachtet, oft auf symbolische Repräsentanz reduziert. Dass Warken nun als Stimme der weiblichen Basis antritt, ist daher ein Kraftakt, der weit über ihren persönlichen politischen Stil hinausgeht.

Die CDU kann sich nicht länger mit formaler Repräsentation zufriedengeben. Die Zahl weiblicher Mitglieder, die mediale Sichtbarkeit einzelner Ministerinnen und die Berufung in Parteivorstände sind keine Erfolgskennzahlen, solange der Zugang zu echten Entscheidungsräumen Männern vorbehalten bleibt. Der Satz von Widmann-Mauz, die Frauen-Union sei „keine Groopie-Truppe männlicher Polit-Stars“, war kein Bonmot, sondern eine Feststellung. In einer Partei, in der Macht weiterhin als Ressource unter Männern verstanden wird, muss jede Frau mit politischem Gestaltungsanspruch zugleich Kämpferin gegen das System sein, dem sie angehört.

Was Warken gelingt, hängt deshalb weniger von ihrem Willen zur Veränderung ab – der ist zweifellos vorhanden –, sondern von der Frage, ob die CDU bereit ist, das Machtgefüge zu durchbrechen, statt es durch symbolische Personalien zu stabilisieren. Ohne diese Bereitschaft wird auch der jüngste Führungswechsel zur Episode, nicht zum Wendepunkt.

 

Vergütung wird freigegeben, Verantwortung bleibt offen, Struktur gerät ins Wanken

Warum die Entbudgetierung der Hausärzte neue Risiken schafft, gesetzliche Lücken offenbart und die Versorgung trotzdem auf der Kippe steht

Als der Erweiterte Bewertungsausschuss am Dienstag das Verfahren zur Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen beschloss, schien das politische Versprechen einer langfristig stabileren und faireren Vergütung in der ambulanten Medizin endlich eingelöst – doch der vermeintliche Systemwechsel offenbart bei näherem Hinsehen nicht nur Regelungslücken, sondern gefährliche Zielkonflikte. Zwar dürfen Hausärztinnen und Hausärzte ab Oktober sämtliche Leistungen aus dem EBM-Kapitel 3 einschließlich der Hausbesuche außerhalb des Budgets abrechnen und damit ohne Mengenbegrenzung zur Abrechnung bringen, doch bleibt die Finanzierung dieser Freistellung ebenso unvollständig geklärt wie ihre strukturellen Folgekosten. Was nach Entlastung klingt, wird im Versorgungsalltag schnell zur Belastungsprobe: Denn der neu geschaffene Honorartopf – die sogenannte Hausarzt-MGV – speist sich lediglich aus Umschichtungen innerhalb der bisherigen morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV), die in Summe nicht erhöht wird. Die Folge: Sollten die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, haften die Kassen zwar nach dem neuen Modell für Ausgleichszahlungen – doch deren Verrechnung mit Unterschreitungen aus Vorquartalen birgt neue bürokratische Komplikationen und letztlich Unsicherheit für die Planbarkeit in den Praxen. Dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dennoch von einem „dringend notwendigen Schritt“ spricht, ist weniger Ausdruck der Zufriedenheit als vielmehr ein Eingeständnis der politischen Notwendigkeit, überhaupt noch handlungsfähig zu erscheinen – während gleichzeitig in anderen Bereichen das Fundament der Versorgung weiter bröckelt.

Denn die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung mag in der Symbolik ein Paradigmenwechsel sein, rechtlich jedoch bleibt sie ein Torso. Die drängende Frage, wie strukturstabilisierende Maßnahmen wie Eigeneinrichtungen, Sonderzulassungen, Terminservicestellen oder Nachwuchsförderung in Zukunft finanziert werden sollen, beantwortet das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) nicht – eine Leerstelle, die selbst der Erweiterte Bewertungsausschuss kritisierte, aber in der gegenwärtigen Systematik nicht zu korrigieren vermochte. Die gesetzliche Pflicht zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung bleibt also bestehen, ihre finanzielle Absicherung indes wird zur politischen Unwägbarkeit. Besonders brisant: Die gesetzlichen Krankenkassen fordern laut KBV, diese Maßnahmen künftig aus dem Honorartopf der Hausärzte selbst zu bestreiten – also durch einen gezielten Abzug. Diese Logik der Selbstbeteiligung bei Systempflichten ist nicht nur strukturell absurd, sondern gefährdet das ohnehin fragile Gleichgewicht zwischen individueller Berufsausübung und kollektiver Versorgungsverantwortung. In einer Phase, in der über 5.000 Hausarztsitze unbesetzt sind, die Landarztquote kaum greift und viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen den Berufsalltag als Kampf gegen administrative Überforderung empfinden, erscheint jede weitere Belastung als Brandbeschleuniger eines schleichenden Systemversagens.

Die Verhandlungen zur sogenannten Vorhaltepauschale, die am selben Tag zwischen KBV und GKV-Spitzenverband geführt wurden, sollen derweil eine neue Dynamik bringen. Auf Basis des GVSG verhandeln beide Seiten über eine garantierte Grundvergütung für hausärztliche Strukturen, wobei Eckpunkte zur stufenweisen Einführung – einer sogenannten Konvergenzphase – bereits abgestimmt wurden. Doch auch hier bleibt unklar, wie sich dies konkret auf die Honorarsituation auswirkt und wie stark die neuen Anforderungen zur „Strukturpräsenz“ in der Fläche sein werden. Ein Hoffnungsschimmer liegt in der geplanten Bildung eines Strukturfonds durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, der durch Mittel in Höhe von mindestens 0,1 und höchstens 0,2 Prozent der MGV gespeist werden soll – wobei die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, eine gleichhohe Summe beizusteuern. Damit könnten gezielt Maßnahmen zur Praxisübernahme, Ausbildung, Stipendienvergabe oder Sonderzulassungen finanziert werden – aber auch hier gilt: Der Fonds ist eine Reaktion auf Regelungslücken, nicht deren vorausschauende Vermeidung. Der Staat organisiert Defizite, statt funktionale Stabilität zu sichern.

Deutlich wird in dieser Gemengelage ein Grundproblem der gegenwärtigen Gesundheitspolitik: Sie erzeugt Symbolwirkungen, wo es langfristiger Planung bedarf, und erwartet Anpassungsfähigkeit, wo Überforderung längst Realität ist. Die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung mag als Einzelfall politisch verkaufbar sein, aber sie droht, ein Fragment ohne verbindende Struktur zu bleiben – mit riskanten Nebenwirkungen für jene, die sie eigentlich entlasten soll. Ein funktionierendes Primärarztsystem braucht nicht nur leistungsgerechte Honorierung, sondern auch Rechtssicherheit, Integrität der Sicherstellungsmechanismen und ein Gesamtgefüge, das Vertrauen in langfristige Rahmenbedingungen ermöglicht. Derzeit jedoch agiert die Politik wie ein Architekt ohne Statiker: Sie beschließt Stockwerke, ohne das Fundament zu prüfen – und lässt jene im Unklaren, die das Gebäude tragen sollen.

 

Kassen brechen ein, Politik schweigt, Apotheken rechnen neu

Was Betreiber jetzt absichern müssen, wenn das System nicht mehr trägt

Der aktuelle Zustand der gesetzlichen Krankenversicherung ist mehr als ein Defizit in Milliardenhöhe – er ist ein Symptom struktureller Überforderung, politischer Konzeptlosigkeit und bürokratischer Selbstfesselung. Was als temporärer Finanzbedarf deklariert wird, offenbart in Wahrheit die Auszehrung eines Systems, das seit Jahren nicht mehr reformiert, sondern nur noch verwaltet wird. Für Apotheken ist diese Gemengelage toxisch – nicht nur wegen offener Rechnungen oder Kürzungspläne, sondern weil sie in einem System operieren müssen, das seine eigene Funktionsfähigkeit nicht mehr garantieren kann.

Apotheken sind nicht nur Leistungserbringer, sondern systemische Interpreten eines dysfunktionalen Verwaltungsapparats. Sie stehen am Ende einer Kette von Verordnungen, Verträgen und Verpflichtungen, die sich zunehmend entkoppelt haben von realer Versorgung, wirtschaftlicher Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. Wenn Krankenkassen in Finanznot geraten, betrifft das nicht nur ihre Liquidität, sondern ihre Haltung: Die Prüfung wird härter, die Abrechnung schleppender, die Retaxation aggressiver. Für Betreiber ist das eine Realität, die nicht nur operative Prozesse bedroht, sondern die gesamte unternehmerische Planbarkeit aushebelt.

Die Ursache liegt tiefer. Schon vor der Pandemie war klar, dass das beitragsfinanzierte Umlagesystem an seine Grenzen stößt. Die demografische Verschiebung, die Zunahme chronischer Erkrankungen, die Medikalisierung sozialer Problemlagen – all das erzeugt einen Wachstumsdruck auf der Ausgabenseite, dem auf Einnahmenseite kein adäquates Gegengewicht gegenübersteht. Dass der Bundeszuschuss zur GKV seit Jahren stagnierte, obwohl die Aufgaben zunahmen, war keine Unachtsamkeit, sondern politisches Kalkül. In Wahrheit war das System nie krisenfest – nur krisenignorant.

Für Apotheken zeigt sich das im Alltag auf mehreren Ebenen: Zahlungsverzögerungen seitens der Kassen, unklare Genehmigungspraxis bei hochpreisigen Arzneimitteln, zunehmende Retaxrisiken durch Formfehler, absurde Ausschreibungslogik bei Hilfsmitteln, und zuletzt die Einbeziehung pharmazeutischer Dienstleistungen in ein Budgetregime, das weder Sicherheit noch Berechenbarkeit bietet. Was als „Stärkung“ verkauft wurde, ist in der Praxis oft ein Rückbau. Selbst einfachste Leistungen wie Medikationsanalysen werden gedeckelt, als handele es sich um Luxusposten.

Betreiber müssen sich daher die unbequeme Frage stellen: Auf welche Einnahmequellen kann ich künftig noch zählen – und welche sind politisch oder administrativ jederzeit zu gefährden? Der Rückzug auf das Kerngeschäft allein ist keine Lösung mehr, denn auch die klassischen Rezeptumsätze stehen unter strukturellem Beschuss. Lieferengpässe, Generikapreisverfall, Rabattvertragsrisiken – all das erzeugt eine Situation, in der selbst bei hoher Nachfrage die Marge schwindet. Gleichzeitig steigen die Kosten: Personal, Energie, Sicherheitsmaßnahmen – jede dieser Linien belastet die Betriebskostenrechnung, ohne dass die GKV-Logik darauf reagiert.

Besonders perfide: Die politischen Narrative verstellen den Blick auf diese realen Schieflagen. Wer im Ministerium vom „Versorgungsauftrag“ spricht, meint nicht automatisch auskömmliche Finanzierung. Wer „digitale Effizienz“ fordert, meint nicht zwingend stabile Schnittstellen oder abrechnungsfähige Innovationen. Es entsteht eine Art von Doppelsprache, in der Apotheken zwischen dem Anspruch, systemrelevant zu sein, und der Realität, systematisch übersehen zu werden, zerrieben werden.

Der aktuelle „Konzept-Kater“ der GKV-Politik – also das Ausbleiben struktureller Reformideen trotz wachsender Systembelastung – bedeutet für Apothekenbetriebe konkret: Der Wartesaalmodus wird zum Normalzustand. Doch wer wartet, verliert. Weder die nächste Honorarreform noch eine spontane Einsicht auf Seiten der Politik wird die wirtschaftliche Unsicherheit kurzfristig auflösen. Betreiber müssen proaktiv Strategien entwickeln, die nicht nur auf Effizienz setzen, sondern auf Resilienz: Versicherungen gegen Retax- und Haftungsrisiken, Liquiditätsreserven für Ausfälle, digitale Backupstrukturen, personelle Redundanzen, juristische Expertise für Widerspruchsverfahren.

Zugleich verlangt die Situation eine radikale Klarheit im Innenverhältnis: Teamführung unter Unsicherheit, transparente Kommunikation über wirtschaftliche Grenzen, klare Verantwortungsdefinition bei Fehlentscheidungen – all das sind Bausteine einer Führungsstruktur, die nicht nur reagiert, sondern gestaltet. Wer sich dieser Realität nicht stellt, wird von ihr überholt.

Was Apothekenbetreiber jetzt verstehen müssen: Die Krise der GKV ist keine vorübergehende Störung, sondern ein Signal. Ein Signal dafür, dass das System nicht mehr aus sich heraus tragfähig ist – und dass das unternehmerische Handeln in der Apotheke längst nicht mehr nur medizinischer oder betriebswirtschaftlicher, sondern systemischer Natur ist. Wer weiter auf politisches Wohlwollen oder stabile Einnahmen aus dem Kassensystem setzt, kalkuliert mit Phantomgrößen. Die neue Realität ist ein Dauerzustand der Unsicherheit – und dieser verlangt neue Kompetenzen, neue Sicherheiten, neue Perspektiven.

 

Preislogik neu denken, Versorgung sichern, Verantwortung steuern

Was das SVR-Gutachten zum Arzneimittelmarkt auslöst – und warum seine Vorschläge das System verändern könnten

Was als akademisches Impulspapier beginnt, kann binnen Wochen die Regeln des Pharmamarktes verändern – zumindest dann, wenn der Sachverständigenrat für Gesundheit und Pflege seine Vorschläge nicht nur adressiert, sondern in politische Verfahren einspeist, die schon länger auf Input warten. Mit seinem jüngsten Gutachten zur Preisregulierung von Arzneimitteln wagt sich das Gremium an ein Nervenzentrum der Gesundheitspolitik: die Finanzierbarkeit des medizinischen Fortschritts. Dass Krankenkassenvertreter das Papier bereits am Tag der Veröffentlichung als überfällig bezeichnen, zeigt die Brisanz. Zugleich warnen Hersteller vor der Implosion eines Systems, das auf Forschung, Innovation und Standortbindung angewiesen ist. Der Streit um den richtigen Preis ist damit wieder ein Streit um das richtige System geworden.

Im Zentrum des Gutachtens steht die Forderung nach einem Paradigmenwechsel: Weg von der passiven Preisakzeptanz, hin zu einer aktiven Steuerung der Arzneimittelausgaben durch Budgetdeckel, Nutzenkoppelung und Verhandlungsmacht. Der SVR schlägt vor, dass künftig für hochpreisige Medikamente striktere Preisobergrenzen eingeführt werden – flankiert von einem klar gestärkten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), der in den Erstattungsverhandlungen mehr Druckmittel erhält. Was technokratisch klingt, läuft politisch auf eine Machtverschiebung hinaus. Der GBA, bislang ein regelsetzendes Gremium mit begrenztem Hebel, soll zur zentralen Instanz für wirtschaftliche Rationalität aufsteigen. Für die Hersteller bedeutet das: keine Garantie mehr, dass ein neues Arzneimittel automatisch zu Preisen eingeführt werden darf, die lediglich durch Innovationsbehauptungen legitimiert sind.

Besonders die geplante Budgetierung weckt Erinnerungen an das Krankenhausbudget – mit allen Licht- und Schattenseiten. Während Krankenkassenvertreter wie Jens Martin Hoyer (AOK) die Idee als »dringend notwendig« begrüßen, warnen Vertreter der Industrie vor einem Rückfall in Planwirtschaft. Die Rede ist von »Investitionsbremse« und »Standortrisiko«, von schwindender Planungssicherheit und Innovationsfeindlichkeit. Doch das Gutachten ist in seiner Diagnose präzise: Es benennt nicht nur die Preissteigerungen der letzten Jahre, sondern verweist auf systematische Defizite im Umgang mit therapeutischem Fortschritt. Zu oft würden Preise nicht am realen Zusatznutzen gemessen, sondern an weltweiten Referenzwerten, die in sich selbst eskalieren.

Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat das Gutachten persönlich entgegengenommen und versprochen, die Empfehlungen sorgfältig zu prüfen. Ihr Ministerium, ohnehin gefordert durch GKV-Finanznöte, Lieferengpässe und Investitionsstaus in der Digitalisierung, könnte den Druck nutzen, um mit den Vorschlägen des SVR in die Offensive zu gehen. Dabei muss sie allerdings ein sensibles Gleichgewicht wahren. Denn der Applaus der Krankenkassen ist nur die eine Seite. Die andere sind drohende Verfassungsklagen, internationale Vertragsverletzungsverfahren und nicht zuletzt ein wachsendes Misstrauen jener Branchenakteure, die sich als systemrelevant verstehen, aber zugleich immer öfter in Erklärungsnot geraten, wenn es um ihre Preisforderungen geht.

Dass die pharmazeutische Industrie sich in die Defensive gedrängt sieht, hat nicht nur mit dem Inhalt des Gutachtens zu tun, sondern auch mit der veränderten Tonlage in der Gesundheitspolitik. Während in den letzten Legislaturperioden häufig das Innovationsversprechen als Totschlagargument für hohe Preise genügte, steht nun der Nutzenbeweis im Vordergrund. Der Ruf nach evidenzbasierter Preisbildung ist kein technischer Wunsch, sondern Ausdruck eines neuen Realismus. Wenn Anne-Kathrin Klemm vom BKK-Dachverband fordert, »Transparenz, Zusatznutzen und Fairness« zur Grundlage künftiger Erstattungsentscheidungen zu machen, bringt sie auf den Punkt, was viele lange dachten, aber kaum öffentlich formulierten: Der Markt ist keine Blackbox mehr.

Doch so nachvollziehbar die Forderungen nach Preisdisziplin erscheinen – sie kommen nicht ohne Risiko. Eine falsch austarierte Budgetierung, ein überlasteter GBA oder eine Überregulierung können ebenso zur Versorgungskrise führen wie ausufernde Preisforderungen. Auch ist fraglich, wie schnell und rechtssicher sich die Vorschläge umsetzen lassen. Der politische Diskurs muss also zwischen Reformbedarf und Verhältnismäßigkeit vermitteln. Denn das Gesundheitssystem kann sich weder unbezahlbare Therapien leisten noch ein Klima, in dem Innovation durch Misstrauen erstickt wird. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die Vorschläge des SVR nicht als Sparkompendium, sondern als Strukturvorschlag für ein gerechtes Preisregime zu verstehen. Das aber verlangt politische Reife – und eine sektorübergreifende Verständigung darüber, was Versorgung im 21. Jahrhundert kosten darf und muss.

 

Individuelle Krebsimpfung startet, Immuntherapie wird personalisiert, Studienstrategie zielt auf Rückfallrisiko

Moderna und MSD testen mRNA-4157 bei NSCLC – und verändern die Systemlogik postoperativer Versorgung

Wenn Moderna und MSD gemeinsam ein onkologisches Entwicklungsprogramm in die finale Studienphase führen, bewegt sich die Aufmerksamkeit der Fachwelt fast zwangsläufig auf ein neues Niveau. Mit dem Start der Phase-III-Studie „INTerpath-009“ geht es nun um nichts Geringeres als die therapeutische Bewährungsprobe eines vollständig individualisierten, mRNA-basierten Krebsimpfstoffs. Der Kandidat mRNA-4157 (V940) zielt darauf ab, tumorspezifische Neoantigene auf Basis des genetischen Fingerabdrucks jedes einzelnen Patienten zu identifizieren und das Immunsystem über gezielte T-Zell-Reaktionen zur Eliminierung residueller Krebszellen anzuleiten. Die Kombination mit Pembrolizumab (Keytruda®) soll dabei helfen, die körpereigene Immunantwort durch Blockade inhibitorischer Signalwege zusätzlich zu verstärken – ein strategischer Schulterschluss, der das Beste zweier immuntherapeutischer Welten zusammenführt. Dass diese Allianz nun am nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) erprobt wird, ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines auf Risiko zugeschnittenen Therapieverständnisses, bei dem klassische Tumorbiologie, molekulare Diagnostik und moderne Studienarchitektur Hand in Hand gehen.

Im Juni beginnt die randomisierte, kontrollierte Studie mit 680 Patientinnen und Patienten in den Stadien II bis IIIB, die trotz neoadjuvanter Chemotherapie und Immuncheckpointblockade keine vollständige Tumorrückbildung erzielt haben. Gerade in dieser onkologischen Grauzone – postoperativ ohne sichtbaren Tumor, aber mit molekularem Restrisiko – zeigt sich, wie relevant personalisierte Strategien zur Eradikation minimaler Residualkrankheit sein können. Der Einsatz von mRNA-4157 bedeutet in diesem Kontext nicht nur eine neue Therapieoption, sondern auch eine neue Art, das biologische Nachspiel einer Tumorresektion klinisch ernst zu nehmen. Die eigentliche Innovation liegt dabei nicht im Medium der mRNA selbst, sondern in der Synthese ihrer Zieldefinition: Die Herstellung individueller Impfchargen, codierend für bis zu 34 Neoantigene pro Patient, markiert den paradigmatischen Wandel von populationsbasierter Therapie zur onkologischen Einzelfallpräzision.

Der Wirkmechanismus der Kombination ist hochgradig integrativ angelegt. Während Pembrolizumab die Immunbremsen löst, schiebt mRNA-4157 die Tumorimmunogenität systematisch an. Beide Elemente greifen ineinander wie Riegel und Schloss – eine Immunantwort zu entfesseln, ohne sie ins Leere laufen zu lassen. In der Phase-II-b-Studie bei Melanompatienten hatte dieses Zusammenspiel bereits eine signifikante Reduktion von Rezidiven und Todesfällen ergeben, was nun bei NSCLC auf eine therapeutisch bedeutsame Reproduzierbarkeit getestet wird. Entscheidend ist dabei die Definition des primären Endpunkts: krankheitsfreies Überleben. Dahinter steht das Ziel, nicht nur Symptome oder Zeiträume zu verwalten, sondern einen tatsächlichen Immunerfolg auf molekularer Ebene messbar zu machen – und damit der Immunonkologie ein valides Evaluationsinstrument zu sichern.

Der Ausschluss von EGFR-mutierten Tumoren, die im klinischen Alltag meist auf gezielte Tyrosinkinaseinhibitoren ansprechen, lenkt die Studienpopulation zudem gezielt auf jene Subgruppe, bei der konventionelle Optionen limitiert sind und immuntherapeutische Strategien bislang weniger Standard als Experiment waren. Die Patienten erhalten entweder mRNA-4157 (1 mg alle drei Wochen, max. neun Dosen) oder ein Placebo – jeweils in Kombination mit Pembrolizumab (400 mg alle sechs Wochen, max. sieben Zyklen). Diese duale Gabe über mehrere Monate eröffnet die Möglichkeit, nicht nur frühe, sondern auch späte immunologische Dynamiken zu erfassen. Die sekundären Endpunkte – Gesamtüberleben, fernmetastasenfreies und lungenkrebsspezifisches Überleben, Sicherheit und Lebensqualität – erweitern den methodischen Radius auf entscheidende Langzeitmarker.

Dass die Studie mit exakter Endpunktdefinition und klaren Einschlusskriterien wie operativ entferntem Tumor, bestätigtem NSCLC ohne EGFR-Mutation und negativem MRT-Befund durchgeführt wird, spricht für die Ernsthaftigkeit des Vorhabens – und gegen jegliche Symbolpolitik in der Krebsforschung. Denn hier geht es nicht um Hoffnungsträger aus dem Reagenzglas, sondern um eine klinische Strategie gegen das rezidivfreie Abtauchen maligner Restzellen. Die sorgfältige Auswahl der Patienten mit sichtbaren Restrisiken, aber klinischer Tumorfreiheit, zeigt: Die Wissenschaft beginnt, Zwischenräume therapeutisch ernst zu nehmen – genau dort, wo die traditionelle Onkologie oft nur abwartet.

Gerade in dieser hochspezialisierten Nische wird deutlich, wie viel Verantwortung eine neue Impfstoffgeneration übernehmen kann. Sie ist nicht Ersatz, sondern Ergänzung, nicht Prävention, sondern therapeutisches Finale – und damit Ausdruck eines Fortschritts, der das Immunsystem nicht belehren, sondern trainieren will. Die Phase-III-Studie markiert damit mehr als einen Schritt im Studiendesign. Sie ist ein klinischer Feldversuch, der die Versprechen der mRNA-Technologie in einen Bereich trägt, der bislang von Rückfällen, Prognoseunschärfen und zähen Überlebenskurven dominiert wurde. Ob der Impfstoff die letzte Lücke in der NSCLC-Versorgung schließen kann, wird sich zeigen. Doch dass sie überhaupt als Lücke anerkannt und gezielt bearbeitet wird, ist schon jetzt ein Fortschritt.

 

Antibiotika verlieren an Schlagkraft, Resistenzen gewinnen Zeit, Politik muss Versäumnisse korrigieren

Wie Azithromycin zur Gefahr wurde, die EMA reagiert und regulatorische Nachlässigkeit endlich Folgen hat

Azithromycin galt lange als Hoffnungsträger einer rationalisierten Antibiotikatherapie: nur einmal täglich, kurze Behandlungsdauer, gute Gewebeverfügbarkeit. Doch was in der Praxis zur bequemen Lösung wurde, hat sich über die Jahre als strukturelles Risiko entpuppt – nicht nur für den Einzelnen, sondern für die antibiotische Wirksamkeit ganzer Versorgungsregionen. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA zieht nun die Notbremse und leitet eine tiefgreifende Einschränkung der Indikationen ein. Damit rückt ein Wirkstoff ins Zentrum gesundheitspolitischer Verantwortung, der bislang mehr durch Verordnungsroutine als durch gezielte Abwägung geprägt war. Und es stellt sich die Frage, warum es erst jetzt zu einem solchen Eingriff kommt, wo die Resistenzentwicklung doch seit Jahren bekannt ist – und wie groß der politische Wille wirklich ist, das Problem der antimikrobiellen Resistenzen nicht länger nur statistisch zu verwalten.

Die EMA kündigt an, in gleich mehreren zentralen Anwendungsbereichen tief in die Fachinformationen einzugreifen. Hintergrund ist die in den vergangenen Jahren signifikant gestiegene Resistenzlage gegenüber Azithromycin. Das Makrolidantibiotikum, das sich aufgrund seiner langen Halbwertszeit – zwischen zwei und vier Tagen – für Kurzzeittherapien eignet, bleibt nach oraler Gabe ungewöhnlich lange im Gewebe nachweisbar. Was pharmakologisch als Vorteil begann, ist mikrobiologisch zur Schwachstelle geworden: Niedrige Substanzkonzentrationen im Übergangsbereich zwischen Wirkung und Inaktivität fördern die Selektion resistenter Erreger. Dass die WHO Azithromycin in ihrer AWaRe-Klassifikation bereits in die „Watch“-Kategorie eingestuft hat, hätte für sich genommen Anlass genug sein müssen, europaweit gegenzusteuern. Doch während die Theorie seit Jahren bekannt war, fehlten praktische Konsequenzen auf regulatorischer Ebene. Der nun gestartete Prozess setzt damit nicht nur ein medizinisches Signal, sondern korrigiert auch eine jahrelange Untätigkeit.

Die neuen Maßnahmen gehen über reine Risikohinweise hinaus. So sollen gleich mehrere bisherige Indikationen vollständig gestrichen werden, darunter die Anwendung bei mittelschwerer Akne vulgaris – eine Entscheidung, die zeigt, dass selbst in Bereichen mit hoher Leidenslast eine antimikrobielle Rationalität Vorrang bekommt. Auch die bislang zugelassene Azithromycin-Anwendung zur Helicobacter-pylori-Eradikation sowie zur Prävention von Asthma-Exazerbationen fällt künftig weg. Dass diese Eingriffe nicht nur kosmetischer Natur sind, zeigt sich an der breiten Palette weiterer Anwendungsbereiche, bei denen künftig die Dosierungen und Indikationshinweise überarbeitet werden – darunter klassische Atemwegsinfektionen, sexuell übertragbare Erkrankungen, Zahninfektionen sowie die Therapie des Mycobacterium-avium-Komplexes bei HIV-Patienten. Besonders Letzteres verweist auf eine politisch sensible Schnittstelle: Denn dort, wo Hochrisikopatienten auf wenige verbleibende Therapiemöglichkeiten angewiesen sind, treffen Resistenzbedrohung und Versorgungssicherheit unmittelbar aufeinander.

Die Rückmeldung, dass Azithromycin in der EU sowohl bei Erwachsenen als auch Kindern in großem Umfang verordnet wird, entlarvt die gängige Praxis: Trotz „Watch“-Kategorisierung zirkuliert der Wirkstoff breitflächig in der Primärversorgung. Gerade weil seine einfache Handhabung – eine Tablette täglich, drei Tage Therapie, keine Notwendigkeit zur engmaschigen Kontrolle – ihn besonders für hektische Praxissituationen attraktiv macht, hat sich über Jahre ein unkritischer Umgang eingeschlichen. Die EMA will dem nun durch eine Harmonisierung sämtlicher Produktinformationen begegnen. Dazu gehören einheitliche Angaben zur Dosierung, zu Neben- und Wechselwirkungen, zu Kontraindikationen sowie klare Hinweise zur Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit. Zukünftig soll jedes Azithromycin-Präparat verpflichtend auf die Resistenzgefahr hinweisen, explizit unter Bezug auf die lange Halbwertszeit und den damit verbundenen „Subtherapiezeitraum“.

Angestoßen wurde die Neubewertung nicht zufällig vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Deutschland, das sich mit der deutschen Antibiotikaresistenzstrategie (DART) seit Jahren profilieren möchte, übernimmt damit eine federführende Rolle im europäischen Arzneimittelmanagement. Zugleich zeigt dieser Vorgang, wie stark die Rolle nationaler Behörden im paneuropäischen Gesundheitsdialog zugenommen hat – insbesondere dort, wo strategische Weichenstellungen auf gemeinsame Datenlagen, aber differenzierte politische Rahmenbedingungen treffen. Denn während die Kommission formal zuständig bleibt, ist der Impuls national motiviert – und der Handlungsdruck real.

Kritisch bleibt dabei, dass sich die Anpassungen in der Praxis nicht automatisch in besserem Verschreibungsverhalten niederschlagen werden. Die regulatorische Neuausrichtung ersetzt keine Schulung, keine interdisziplinäre Beratung, keine Kontrolle des tatsächlichen Einsatzes. Wenn Azithromycin künftig in weniger Indikationen erlaubt ist, aber gleichzeitig als Notfalltherapie bei schwer erreichbaren Patienten weiter kursiert, braucht es klare Leitlinien und begleitende Maßnahmen, um aus regulatorischer Korrektur echte Versorgungspraxis zu machen. Dass dies gelingen kann, zeigt der historische Umgang mit Reserveantibiotika – doch nur, wenn Überwachung, Transparenz und die Einbindung der Ärzteschaft zugleich mitdenken.

Resistenz ist keine Laborkategorie, sondern eine Versorgungsgefahr, deren Ursprung oft im Gewöhnlichen liegt. Azithromycin war ein Mittel des Alltags, ein Helfer für unkomplizierte Fälle. Dass nun die systemische Konsequenz dieser Bequemlichkeit sichtbar wird, ist kein Versagen des Wirkstoffs, sondern der Politik, ihn jahrelang kritiklos passieren zu lassen. Es geht also nicht um ein Antibiotikum, sondern um die Fähigkeit der Gesundheitssysteme, die langfristigen Folgen kurzfristiger Routine zu erkennen – und dann mutig zu handeln.

 

Sonnenschutz wird vergessen, Risiken werden verdrängt, Kinderhaut wird verbrannt

Warum elterliches Bewusstsein nicht reicht, wenn Routinen fehlen, Prävention scheitert und der Sommer zur Gesundheitsfalle wird

Sonnenschutz beginnt im Kopf, aber dort endet er oft auch. Viele Eltern wissen um die Gefahren ultravioletter Strahlung für die zarte Haut ihrer Kinder, doch zwischen Theorie und Praxis klafft eine Lücke, die sich jedes Jahr auf den Spielplätzen, in Freibädern und an Stränden schmerzhaft bemerkbar macht. Dabei sind die biologischen Voraussetzungen eindeutig: Kinderhaut ist empfindlicher, dünner, durchlässiger – und ihre körpereigenen Schutzmechanismen gegen UV-Strahlen sind noch nicht vollständig ausgebildet. Ein Sonnenbrand ist nicht nur eine kurzfristige Entzündung, sondern ein biologischer Alarm, der Zellkerne beschädigt und langfristig das Risiko für Hautkrebs erhöht. Trotzdem zeigt eine neue Umfrage des IKW: Ein Fünftel der Eltern vergisst häufig, das Kind überhaupt einzucremen, und fast ein Drittel unterlässt es, nach dem Baden oder Toben nachzucremen. Was hier wie Nachlässigkeit klingt, ist in Wahrheit ein gesellschaftliches Muster: Prävention ist unbequem, und solange sie nicht unmittelbar belohnt wird, bleibt sie anfällig für Verdrängung.

Dabei ist das Bewusstsein grundsätzlich vorhanden – rund 80 Prozent der befragten Eltern wissen um die Wichtigkeit des Sonnenschutzes. Aber die Wissensweitergabe von Fachstellen und Gesundheitseinrichtungen allein reicht offensichtlich nicht aus. Denn Wissen, das nicht in Handlung überführt wird, bleibt folgenlos. Dass 42 Prozent der Eltern berichten, ihr Kind habe trotz Sonnenschutz bereits einen Sonnenbrand erlitten, verdeutlicht ein weiteres strukturelles Problem: Die Vorstellung, einmaliges Eincremen reiche aus, ist ebenso weit verbreitet wie falsch. UV-Strahlung ist kein einmaliger Reiz, sondern eine kontinuierliche Belastung – besonders im Wasser, wo die Reflexion die Exposition zusätzlich verstärkt. Und selbst in vermeintlich „sonnenarmen“ Regionen wie Mitteleuropa wird regelmäßig unterschätzt, wie intensiv die Strahlung zwischen Mai und September tatsächlich ist.

Die Empfehlungen der Fachgesellschaften liegen seit Jahren auf dem Tisch. Babys und Kleinkinder sollen in den ersten zwölf Lebensmonaten überhaupt keiner direkten Sonne ausgesetzt werden. Danach gilt es, vor allem in der kritischen Mittagszeit zwischen 11 und 15 Uhr Schatten aufzusuchen und körperbedeckende UV-Kleidung mit einem Schutzfaktor von mindestens UPF 30 zu verwenden. Auch hier zeigt sich jedoch: Kleidung wird zu oft als rein ästhetisches Element verstanden, nicht als medizinisches Schutzinstrument. Die Bereitschaft, in funktionale UV-Kleidung zu investieren, hängt eng mit soziokulturellen Normen und finanziellem Bewusstsein zusammen – ein weißes T-Shirt vom Discounter ersetzt keinen zertifizierten UV-Schutz. Das gleiche gilt für Kopfbedeckungen oder Sonnenbrillen, die aus modischen Gründen verweigert oder vergessen werden. Kinder übernehmen dabei nicht nur Gewohnheiten, sondern auch Prioritäten. Wenn Erwachsene sich achtlos der Sonne aussetzen, wird das Eincremen zur Ausnahmesituation statt zur Routine.

Die strukturelle Herausforderung liegt also weniger in der Wissensvermittlung, sondern in der Handlungsverankerung. Präventionsmaßnahmen müssen in Alltagsroutinen eingebettet werden – wie das tägliche Zähneputzen oder das Anschnallen im Auto. Schulen, Kitas und Betreuungseinrichtungen könnten hier eine Vorbildrolle übernehmen, ebenso wie Kampagnen, die nicht nur warnen, sondern konkret demonstrieren, wie moderner Sonnenschutz funktioniert. Die medizinische Relevanz ist dabei unbestritten: Studien zeigen, dass bis zu 80 Prozent der kumulierten UV-Strahlung im Laufe eines Lebens in der Kindheit aufgenommen werden. Wer also früh schützt, verringert späteres Hautkrebsrisiko messbar.

Dass dennoch fast jede dritte Familie über wiederkehrende Sonnenbrände bei ihren Kindern berichtet, ist ein gesellschaftlicher Befund – und kein individueller Fauxpas. Er verweist auf einen kollektiven Mangel an Priorisierung, auf eine Lücke in der praktischen Gesundheitsbildung, aber auch auf die Unterschätzung von Klimawandel und Strahlungsintensität. Denn Sommer sind heute länger, intensiver und unberechenbarer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wer Kinder auf die Welt bringt, trägt nicht nur für ihre Ernährung, Entwicklung und Bildung Verantwortung, sondern auch für die äußeren Bedingungen, denen ihre Körper täglich ausgesetzt sind. Sonnenschutz ist keine kosmetische Frage – er ist gelebte Fürsorge und Ausdruck vorausschauender Elternschaft. Wenn diese Haltung im Alltag zur Ausnahme wird, dann brennt nicht nur die Haut, sondern auch das Vertrauen in gesundheitliche Selbstverantwortung aus.

 

Psychostabilität, Essverhalten, Lebensqualität

Was GLP-1-Agonisten über den Körper hinaus verändern können

Es war ein stiller Verdacht, der lange im Raum stand: Können blutzucker- und gewichtsregulierende Medikamente auch auf die Psyche wirken – und wenn ja, in welcher Richtung? Die neuen Daten aus Großbritannien bringen nun mehr Klarheit. Forscherteams vom King’s College London, dem Imperial College, der Universität Edinburgh sowie mehreren NHS Foundation Trusts haben im Fachjournal JAMA Psychiatry eine Metaanalyse publiziert, die den Einfluss von GLP-1-Rezeptoragonisten auf psychiatrische Symptome, kognitive Leistungsfähigkeit und gesundheitsbezogene Lebensqualität systematisch ausgewertet hat. Der Befund ist bemerkenswert – nicht wegen eines spektakulären Effekts, sondern wegen einer bemerkenswerten Absenz: Keine Anzeichen für psychische Gefährdung, keine erhöhte Suizidrate, keine kognitiven Einbußen. Im Gegenteil: Die Lebensqualität steigt signifikant, sowohl körperlich als auch mental.

Diese Erkenntnis basiert auf einem methodisch aufwendigen Review von 80 randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien mit insgesamt 107.860 Patientinnen und Patienten. Das Durchschnittsalter lag bei 60 Jahren, rund 40 Prozent der Teilnehmenden waren Frauen. Eingeschlossen wurden nur Studien, die explizit Aussagen zu psychiatrischen Endpunkten, kognitiven Funktionen oder Lebensqualitätsmerkmalen machten. Diese strenge Auswahl verleiht der Analyse besonderes Gewicht – denn der Zusammenhang zwischen Adipositas, Diabetes und psychischer Gesundheit ist vielschichtig, kausal unklar, aber epidemiologisch belegt. Menschen mit Typ-2-Diabetes erkranken fast doppelt so häufig an Depressionen wie die Durchschnittsbevölkerung. Gleichzeitig können depressive Episoden unkontrolliertes Essverhalten fördern, wodurch Übergewicht und Diabetes wiederum verstärkt werden. Dass diese Spirale durchbrochen werden kann, wäre also therapeutisch hochrelevant.

Und genau hier setzen die Ergebnisse an. Die Autoren fanden keinen Hinweis darauf, dass die Behandlung mit einem GLP-1-Agonisten wie Semaglutid (Ozempic®, Wegovy®) oder Liraglutid (Victoza®, Saxenda®) die Wahrscheinlichkeit psychiatrischer Nebenwirkungen erhöht. Das relative Risiko für neuropsychiatrische Auffälligkeiten war unter GLP-1-RAs im Vergleich zu Placebo sogar leicht reduziert – wenn auch nicht statistisch signifikant. Auch depressive Symptome, soweit sie zu Studienbeginn bestanden, zeigten keine systematische Verbesserung oder Verschlechterung. Entscheidender ist jedoch ein anderer Befund: Die berichtete Lebensqualität verbesserte sich bei GLP-1-Nutzern in Bezug auf die mentale Gesundheit, körperliche Belastbarkeit, krankheitsbezogene Einschränkungen sowie die Selbstwahrnehmung beim Essverhalten deutlich. Und diese Effekte waren statistisch signifikant.

Dass sich eine pharmakologische Intervention zur Stoffwechselregulation so konsistent auf subjektives Wohlbefinden auswirkt, ist klinisch und gesundheitspolitisch nicht trivial. Es verweist auf die zentrale Rolle von Selbstwirksamkeitserleben, Körperbild und sozialer Teilhabe in der Bewertung therapeutischer Effekte – ein Aspekt, der in klassischen AMNOG-Nutzenbewertungen oft unterrepräsentiert bleibt. Emotionale Essmuster, also beispielsweise das sogenannte „restrained eating“ (kontrolliertes Essverhalten mit starker gedanklicher Einengung) oder „emotional eating“ (essen bei Stress, Langeweile oder Traurigkeit), besserten sich im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant. Die Betroffenen gewannen also nicht nur metabolisch, sondern auch psychologisch an Spielraum und Lebensfreude.

Diese positiven Resultate erhalten zusätzliches Gewicht vor dem Hintergrund regulatorischer Debatten der vergangenen Jahre. 2023 hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) angekündigt, Hinweise auf mögliche suizidale Gedanken oder selbstverletzendes Verhalten im Zusammenhang mit GLP-1-Analoga wie Semaglutid oder Liraglutid zu prüfen. Der Auslöser war eine Reihe von Fallberichten aus Skandinavien und den USA, bei denen Patienten nach Beginn einer GLP-1-Therapie psychische Krisen erlitten hatten. Auch in der digitalen Patientenberichterstattung via Apps und Health-Portale tauchten derartige Hinweise wiederholt auf. Die EMA reagierte mit einem umfassenden Review, der im April 2024 abgeschlossen wurde – mit dem klaren Ergebnis, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen GLP-1-Therapie und suizidalen Gedanken festgestellt werden konnte. Diese Einschätzung wird durch die neue britische Metaanalyse gestützt.

Der psychopharmakologische Befund bleibt damit stabil: GLP-1-Rezeptoragonisten sind metabolisch wirksam, psychiatrisch unauffällig und verbessern Lebensqualität in einem Maß, das über die reine Gewichts- oder Blutzuckerregulation hinausgeht. Aus gesundheitspolitischer Sicht könnte dies die Diskussion über die erweiterte Indikationsstellung weiter befeuern. Schon jetzt wird diskutiert, ob GLP-1-RAs in bestimmten Fällen auch bei Essstörungen, etwa Binge-Eating-Disorder oder Adipositas mit psychischer Komorbidität, gezielt eingesetzt werden könnten. Die Forschung ist hier vorsichtig – aber auch zunehmend interessiert. Denn die Grenze zwischen „Stoffwechselstörung“ und „seelischem Ungleichgewicht“ ist klinisch durchlässiger, als viele Leitlinien nahelegen.

Dass Patientinnen und Patienten von der Therapie nicht nur durch niedrigere HbA1c-Werte, sondern auch durch eine gesteigerte Zufriedenheit mit ihrem Alltag profitieren, zeigt das Potenzial einer psychosomatischen Perspektive auf Pharmakotherapie. Die britische Metaanalyse könnte der Auftakt sein zu einer erweiterten Nutzenbewertung, bei der psychische Stabilität, emotionale Lebensführung und soziale Teilhabe endlich denselben Stellenwert erhalten wie Nüchternblutzucker und Körpergewicht.

 

Digitale Reize überfordern das Nervensystem, Klimastress befeuert die Beschwerden, Therapie wird zur Zusatzlast

Wie Kopfschmerz und Migräne immer öfter Ausdruck gesellschaftlicher Überlastung sind

Wenn digitale Dauerschleifen das vegetative Nervensystem zermürben, wenn Klimafaktoren den inneren Druck steigern und selbst die Behandlungsempfehlung zur Belastung wird, steht fest: Der Kopfschmerz der Gegenwart ist kein singuläres Symptom mehr, sondern Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Erschöpfungskomplexes. Was die neuen Zahlen des Kopfschmerz- und Migräne-Reports 2025 belegen, formuliert Schmerzmediziner Dr. Jan-Peter Jansen mit klinischer Klarheit: Die digitale Lebensweise ist zum nozizeptiven Stressor avanciert. Nicht die Informationsflut allein macht krank, sondern das permanente Bedrohungsszenario, das sich in einer toxischen Melange aus Bildschirmzeit, globaler Verunsicherung, Klimaangst und individueller Erschöpfung verdichtet.

Die repräsentative Befragung des Unternehmens Opella unter 3.300 Betroffenen zeigt, dass klassische Auslöser wie Schlafmangel oder emotionale Anspannung weiterhin dominieren, jedoch zunehmend durch neue Stressoren überlagert werden: 64 Prozent der jungen Erwachsenen vermuten einen direkten Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Migräne. Besonders Smartphone- und Tablet-Nutzung gelten inzwischen als Hochrisikofaktoren. Diese digitale Überstimulation, kombiniert mit sitzenden Bildschirmtätigkeiten und sozialen Daueralarmen, erzeugt laut Jansen okuläre und myofasziale Überlastungen, die sich als Spannungskopfschmerz manifestieren.

Dabei wirkt nicht nur das Display, sondern auch der Inhalt als Verstärker des Schmerzerlebens: Kriegsbilder, Klimakollaps, Ökonomiedruck – ständig abrufbare Krisen brennen sich ins emotionale System ein, führen zur vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen und machen aus Alltagsreizen pathogene Impulsgeber. Die gesundheitliche Rechnung folgt prompt: Reizverstärkung, Schlafstörung, Reizbarkeit, Isolation. In dieser Gemengelage wird selbst die lindernde Therapie zur Herausforderung. Denn die mahnende Vorgabe, maximal zehn Tage Kombinationsanalgetika pro Monat einzunehmen, kann ihrerseits Druck erzeugen und das Schmerzerleben psychologisch aufladen.

Hinzu kommen zunehmend klimatische Trigger: 29 Prozent der Befragten berichten über Kopfschmerzverschlechterung bei Hitzewellen, 25 Prozent bei erhöhter Feinstaubbelastung. Luftdruckschwankungen, Wetterwechsel, Temperaturanomalien greifen in das neurovaskuläre Gleichgewicht ein und aktivieren das Stresssystem. Jansen verweist auf eine neue Sensibilität für Umweltreize, die mit diffusen, aber realen Angstnarrativen gekoppelt sei – ein Verstärkungsmechanismus, der sich in der klinischen Praxis immer häufiger zeigt.

Kopfschmerz ist damit nicht mehr nur ein isolierter Schmerz, sondern Ausdruck einer biopsychosozialen Überforderung. Die Betroffenen beschreiben neben kognitiven Einbußen auch eine Einschränkung der sozialen Partizipation. Selbst Alltagskommunikation fällt schwer, Schlaf wird zur Stresszone, Bewegung zur Zumutung. In solchen Kontexten sei nicht nur medikamentös, sondern auch psychologisch umzustellen, rät Jansen. Es brauche keine weitere Fokussierung auf das Leid, sondern eine Verschiebung der Perspektive. Der Experte fordert, das klassische Kopfschmerztagebuch in ein Zufriedenheitstagebuch umzuwandeln. Statt täglich den Schmerz zu protokollieren, sollen die guten Tage in den Vordergrund rücken – als Erinnerung an Ressourcen, Resilienz und Handlungsfähigkeit.

Therapeutisch hat sich die Kombination aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Koffein als besonders wirksam erwiesen. Studien belegen eine um 20 Minuten schnellere Wirkung gegenüber Mono-Ibuprofen, und auch die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft erkennen die Überlegenheit dieser Kombinationspräparate an. Allerdings sei deren Nebenwirkungsprofil zu berücksichtigen. Sie sollten laut Leitlinie erst dann eingesetzt werden, wenn Monopraparate nicht ausreichen. Jansen betont: Der schnell empfundene Wirkungseintritt sei für viele Patienten entscheidend. Gerade in einer Zeit, in der das Leben als unkontrollierbar erlebt werde, vermittle eine rasche Symptomkontrolle nicht nur Linderung, sondern auch ein Stück Autonomie.

Doch auch die Therapie muss von der Last des Perfektionismus befreit werden. Wer sich beim Schlaf gängelt, beim Essen kasteit oder sich zum Joggen zwingt, obwohl er Laufen hasst, produziert Stress statt Heilung. Jansens Appell lautet: Individualität vor Dogma. Prävention muss sich am Leben orientieren, nicht an Lehrbuchidealen. Wer seine Auslöser kennt und gleichzeitig seine eigenen Ressourcen stärkt, kann mit der Störung leben, ohne sich von ihr dominieren zu lassen. Kopfweh verschwindet dann nicht immer, aber es verliert seinen Totalanspruch. Und das ist in einer Welt voller Daueralarm ein therapeutischer Fortschritt.

 

Immunbooster oder Risiko, Regeneration oder Rückschritt, Prävention oder Placebo

Wie Sportler ihr Immunsystem stärken, Erkältungen vermeiden und Training nicht sabotieren

In der Welt des ambitionierten Sports ist ein banaler Atemwegsinfekt weit mehr als nur ein kleiner Rückschlag: Er ist ein Störfaktor mit systemischer Wirkung. Eine unterbrochene Trainingsphase kann Wochen an Aufbauarbeit zunichtemachen, geplante Wettkämpfe werden zur Ungewissheit, der Körper steht nicht selten im Konflikt zwischen Regeneration und Leistungsdruck. Dass sich in diesem Spannungsfeld immer mehr Expertinnen und Experten für eine klare und evidenzbasierte Präventionsstrategie aussprechen, ist daher kein Zufall – sondern Ausdruck eines Paradigmenwechsels, der auf das Prinzip der Belastungsbalance setzt: Reize setzen, aber nicht überfordern.

Sport gilt gemeinhin als Booster für das Immunsystem. Dass dies aber nicht in einem linearen Zusammenhang geschieht, sondern fein abgestimmter Dosierung bedarf, macht Professor Dr. Bernd Wolfarth, Sportmediziner an der Berliner Charité und Olympiaarzt, unmissverständlich deutlich. Die von ihm beschriebene „open window“-Phase nach intensiver Belastung – ein immunologisches Zeitfenster von bis zu 72 Stunden, in dem die körpereigene Abwehrleistung messbar absinkt – bedeutet nicht Krankheit per se, aber Risiko. Natürliche Killerzellen und T-Lymphozyten seien dann temporär reduziert, erklärte Wolfarth beim Internistenkongress in Wiesbaden. In dieser Konstellation liegt der Fehler nicht im Sport selbst, sondern in der Missachtung seiner biologischen Konsequenzen.

Entscheidend ist dabei weniger, ob ein Sportler professionell oder freizeitorientiert trainiert – sondern ob er sich innerhalb physiologischer Reizkorridore bewegt oder diese regelmäßig überschreitet. Denn auch wenn Wolfarth in einer norwegischen Beobachtungsstudie keine erhöhte Infektlast bei Elite-Skilangläuferinnen und -läufern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung feststellen konnte, blieb ein bemerkenswerter Befund: Die anfälligeren Sportler waren tendenziell die weniger erfolgreichen. Das legt einen Zusammenhang nahe zwischen grenzwertigem Trainingsverhalten, möglicherweise bedingt durch gruppendynamischen Druck, und der erhöhten Vulnerabilität des Immunsystems.

Dazu kommt ein zweiter Risikokomplex: jener der externen Einflussfaktoren, die sich dem Willen des Athleten entziehen. Wettkampfreisen, Klimawechsel, Menschenansammlungen, gestörter Schlaf, inadäquate Ernährung – all das kann sich auf immunologische Regulationsprozesse auswirken. Stress, ob psychisch oder physiologisch, wirkt dabei stets immunsuppressiv, wie nicht zuletzt pandemiebedingt eindrücklich erfahrbar wurde. Dass die sportmedizinische Forschung heute nicht mehr nur Leistungsdaten erhebt, sondern auch Umweltbedingungen, psychologische Stressoren und Schlafqualität analysiert, ist daher Ausdruck eines erweiterten Gesundheitsverständnisses.

So sind es letztlich dieselben Faktoren, die auch in der Allgemeinbevölkerung für erhöhte Infektanfälligkeit sorgen – nur dass ihre Relevanz im sportlichen Kontext durch die extreme Systembeanspruchung exponiert wird. Entsprechend gelten für Athletinnen und Athleten keine anderen, sondern dieselben Regeln der Prävention, allerdings mit einer deutlich schärferen Konsequenz in der Umsetzung. Schleimhautpflege durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr, nasale Barrierepflege bei Allergie, symptomatische Entlastung bei verstopfter Nase – alles bekannte Strategien, aber durch Daten bestätigt. Wolfarth verweist hier ausdrücklich auf den Stellenwert pflanzlicher Alternativen wie Euphorbium, das in Studien gegenüber α-Sympathomimetika wie Xylometazolin nicht unterlegen war, jedoch ohne deren Anwendungslimit von sieben Tagen auskommt und zusätzlich antivirale Eigenschaften aufweist.

Interessant ist dabei, dass gerade ambitionierte Athleten auf diese Empfehlungen häufig mit Enttäuschung reagieren. Sie erwarten komplexe, technisierte oder supplementbasierte Konzepte – und erhalten evidenzbasierten Pragmatismus: Abstand, Händewaschen, Maskentragen. Doch genau das ist der entscheidende Punkt. Prävention beginnt nicht bei Spezialpräparaten oder Nährstoffregimen, sondern beim Verständnis für Immunregulation, Belastungssteuerung und sozialhygienisches Verhalten.

Der Sport der Zukunft wird daher nicht nur an Zeiten, Weiten und Gewichten gemessen, sondern an der Fähigkeit, Belastung als komplexes System zu verstehen. Wer seine Immunantwort als Trainingspartner begreift und nicht als passiven Risikofaktor, hat bessere Karten – nicht nur im Wettkampf, sondern im Leben. Denn das Fenster ist offen, aber nicht schutzlos.

 

Fußball erregt den Körper, Smartwatches verraten die Wahrheit, Wissenschaft hört mit

Wie Forschende das DFB-Finale als Echtzeit-Experiment für kollektive Emotionen nutzen

Wenn der VfB Stuttgart auf Arminia Bielefeld trifft, steht nicht nur der DFB-Pokal auf dem Spiel. In einer stillen, digitalen Parallelwelt vermessen Forschende in Echtzeit den unsichtbaren Sturm in Brust und Gehirn der Fans. Das Fußballfieber soll dabei erstmals systematisch und in physiologischen Daten ausgedrückt werden – nicht mehr metaphorisch, sondern wissenschaftlich verifizierbar, mit Hilfe von Smartwatches, die wie stille Zeugen jede Erregung, jede Spannung und jede Erlösung protokollieren. Initiiert von der Universität Bielefeld, federführend unter der Leitung von Professor Dr. Christian Deutscher, zielt das Projekt auf eine neue Qualität der Emotionsforschung im Alltag ab: authentisch, situativ, nichtinvasiv. Was lange nur Thema von Sitcoms, Anekdoten oder Sportsbars war – das kollektive Zähneklappern beim Elfmeter oder das Adrenalin beim Abseitspfiff –, soll nun in einer Feldstudie sichtbar gemacht werden, die ihren Probanden kein einziges Kabel anlegt und dennoch millisekundengenau ihre Reaktionen speichert.

Der Clou liegt in der Methodik: Statt Probanden in Labore zu zwingen, nutzen die Forschenden eine digitale Infrastruktur, die längst im Alltag verankert ist. Garmin-Nutzerinnen und -Nutzer, die ihre Fitnessdaten freiwillig für Forschungszwecke freigegeben haben, bilden das Rückgrat der Untersuchung. Ohne aktives Zutun außer der Anmeldung zur Teilnahme reicht es aus, dass sie das Finale schauen – die Smartwatch übernimmt den Rest. Herzfrequenzverläufe, Bewegungsmuster, Belastungsspitzen: Alles wird synchronisiert, während das Geschehen auf dem Rasen seinen Lauf nimmt. So entsteht eine bislang einzigartige Datenbasis zur Echtzeitwirkung emotionaler Erregung im Kontext populärer Ereignisse. Dass ein Unternehmen wie Garmin dafür seine Infrastruktur öffnet, zeigt, wie eng Wissenschaft, Technologie und Konsum mittlerweile miteinander verzahnt sind. Zugleich verweist die Studie auf eine stille, aber weitreichende Transformation: Die Privatbiologie wird öffentlich auswertbar – vorausgesetzt, die Nutzenden stimmen dem zu.

Für die Psychologie bedeutet das eine neue Schwelle. Die kontrollierte, klinisch isolierte Messung weicht einer natürlichen Datenerhebung mitten im Leben. Fußball bietet dafür eine ideale Versuchsanordnung: starke Affekte, planbare Dramaturgie, identitätsstiftende Kollektiverfahrung – ein emotionaler Katalysator mit gesellschaftlicher Breitenwirkung. Schon die Vorbereitung auf das Spiel, die Gruppendynamik im Wohnzimmer, die ritualisierte Hoffnung auf das Wunder oder das frühe Tor – all das wird nicht mehr als Erzählung, sondern als Kurve erfasst. Welche Muster entstehen, wenn in Minute 87 der Rückstand kippt? Wie reagieren Körper, wenn der geliebte Verein einen Elfmeter verschießt? Und was geschieht, wenn in der Verlängerung der Lucky Punch gelingt? Die Antworten versprechen keine sportmedizinische Revolution, wohl aber ein tieferes Verständnis dafür, wie kollektive Emotionen den Einzelnen physisch verändern können – in Echtzeit, nachvollziehbar, wiederholbar.

Was als Spiel beginnt, wird zum Experiment mit offenem Ausgang. Für Arminia-Fans, die nach sportlich schwierigen Jahren nun eine emotionale Ausnahmephase erleben, bedeutet das zugleich eine therapeutische Relevanz. Fußball wird zum Gefühlsventil, und wer dies misst, kann besser verstehen, warum dieser Sport mehr ist als Unterhaltung – er ist strukturierter Wahnsinn, identitätsbildender Stress, kontrollierte Ekstase. Dass Professor Deutscher explizit betont, die Einschränkung auf Garmin-Nutzer schränke die Aussagekraft nicht ein, verweist auf die Selbstverständlichkeit digitaler Begleiter in gesundheitsaffinen Zielgruppen. Gerade diese hohe Alltagsnähe verleiht der Untersuchung ihr innovatives Profil. Dass die gewonnenen Erkenntnisse später öffentlich zugänglich gemacht werden sollen, passt zum Selbstverständnis der beteiligten Institutionen: Emotion ist keine Privatsache mehr – sie wird, sorgfältig anonymisiert, zur Forschungsressource.

Die „Wissenswerkstadt Bielefeld“ bringt als Vermittlerin Wissenschaft und Bevölkerung zusammen. Ihr Sprecher Jens Franzke verweist zu Recht auf das große Potenzial der Methodik: Sie verlangt von den Teilnehmenden nichts, außer ihr natürliches Verhalten beizubehalten. Dass sich Forschung einmal so unaufdringlich anschmiegen kann, ist das eigentliche Novum. Anders als in der Laborpsychologie geht es hier nicht um Reiz-Reaktions-Schemata unter klinischen Bedingungen, sondern um das soziale Biotop, wie es wirklich existiert: Fans, Sofa, Bildschirm, Spannung – Alltag eben. Dabei wird deutlich, wie sehr digitale Fitnessökologie längst Teil unserer Lebensrealität ist. Dass eine Uhr nicht nur Schritte zählt, sondern Emotionen speichert, verschiebt den Rahmen dessen, was wir unter wissenschaftlicher Messung verstehen.

Am Ende steht ein Versprechen: Emotion, die bislang als subjektiv, flüchtig oder ungreifbar galt, kann erfasst, analysiert und rekonstruiert werden. Und vielleicht wird der Moment, in dem Arminia jubelt oder Stuttgart verzweifelt, nicht nur Geschichte, sondern auch Datensatz – ein Eintrag in ein Archiv des kollektiven Zitterns, das beweist: Fußball ist mehr als Sport. Es ist ein Testfall für die biografische Relevanz von Emotion – und die Frage, was in uns passiert, wenn wir mitfiebern, ohne dass wir uns selbst dabei beobachten müssen.

 

Wirklich echt, nur fast, aber leider fast fatal 

Wie Inspektorin Theda Blink zwischen HV-Tresen und Polizeicode das Vertrauen testet – und Apotheken ins Typografielabyrinth schickt

Sie kommt leise, aber mit Auftrag. Ihr Ziel: der HV. Ihr Auftreten: zwischen Undercover und Überwachungsstaat. Theda Blink, Ermittlerin auf Rezept, Augen wie ein Scanner, Auftraggeber: die Kammer. Sie trägt das Unauffällige wie eine Uniform und reicht ein Dokument über den Tresen, das aussieht, wie es aussehen soll – beinahe. Ein Rezept, das nicht schreit, sondern flüstert: „Ich bin fast korrekt.“ Und genau deshalb ist es gefährlich.

Die Szene: eine Apotheke am frühen Abend, die Luft riecht nach Desinfektionsmittel und Thermobondruck. Blink tritt ein wie eine Kundin mit zu viel Zeit. Kein Husten, kein Blickkontakt, nur ein perfekt gefaltetes Rezept in der Hand. Humira, sechs Pens, rund 2800 Euro. Ein dicker Brocken. Die Zeile mit der Krankenkasse sitzt – aber leicht verrutscht. Nur ein Hauch. Ein Grafiker würde es merken. Ein HV-Team? Nur, wenn es ausgeschlafen ist.

Doch darum geht es: Die Kammer will wissen, wer in Zeiten echter Fälschungen noch hinsieht. Wer den Unterschied erkennt zwischen Helvetica und Arial Narrow. Wer merkt, dass der Papierschliff nicht stimmt. Wer nicht nur gegen Viren kämpft, sondern auch gegen Typografiebanditen. Und Blink testet das – mit Pokerface und Punktabzug.

Natürlich läuft das Ganze nicht ohne Show. Draußen im Wagen: Protokollantin mit Laptop. Die Kommunikation: über Codewörter. Wenn Blink sagt „recht freundlich“, heißt das: der Inhaber ist wach. Wenn sie sagt „unverbindlich“, heißt das: sie werden gleich durchfallen. Dann: Polizei-Einsatz. Zwei Beamte, echtes Blaulicht, echte Waffen. Der HV friert, der Inhaber starrt – bis Blink ihren Ausweis zieht und sagt: „Routineüberprüfung im Auftrag der pharmazeutischen Sicherheitsarchitektur.“

Der Kommentar? In dieser Glosse keine Option, sondern Pflicht. Denn das Ganze ist nicht bloß ein Theaterstück auf Krankenscheinbasis. Es ist Ausdruck einer hilflosen Überforderung. Die Rezeptfälschungen nehmen zu, die Professionalisierung der Täter auch. Der Schwarzmarkt kennt keine Mittagspause. Und weil die Politik lieber Digitalisierungs-Märchen erzählt, bleibt es an den Apotheken hängen, auch noch Ermittler zu sein.

Ist das fair? Nein. Ist es nötig? Leider ja. Denn wer heute nicht erkennt, was falsch ist, wird morgen dafür haften. Und so wird die Apotheke zum Kontrollorgan, der HV zum Verhörraum, das Rezept zum Beweismittel. Und Theda Blink? Die bleibt im Schatten – bis zum nächsten Testlauf.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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