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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Apotheken geraten in ein gefährliches Spannungsfeld aus Klimarisiken, digitaler Marktverlagerung und rechtlicher Haftung. Während Naturkatastrophen wie Starkregen und Überschwemmungen immer häufiger ganze Standorte lahmlegen, fehlt es vielen Betrieben an existenziell nötigem Elementarschadenschutz. Die betriebliche Verwundbarkeit wird durch die zunehmende Bedeutung des E-Rezepts zusätzlich verschärft. Wo früher Rezepttreue durch Stammkundschaft bestand, wandert der Verordnungsfluss heute blitzschnell über digitale Plattformen ab – nicht selten zu Versandapotheken oder Großplattformen mit aggressiver Marktstrategie. Die Folge ist eine schleichende Erosion der wirtschaftlichen Basis stationärer Betriebe. Gleichzeitig steigen die Risiken für Regressforderungen. Kommt es etwa zu einem Brand infolge chemischer Reaktionen im Apothekenlabor, sind nicht nur die eigenen Räume betroffen, sondern häufig auch Nachbarn, Arztpraxen und weitere Gewerbe. Wer hier nicht adäquat abgesichert ist, haftet mit seinem gesamten Betriebsvermögen – oft über Jahre hinweg. Was wie ein abstraktes Zukunftsszenario klingt, ist für viele Apotheken längst Realität.
Klimarisiken treffen auch Apothekenstandorte
Wie eine fehlende Elementarschadenversicherung zur Existenzfrage werden kann
Die Debatte über eine mögliche Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ist nicht nur eine grundsätzliche Frage des sozialen Ausgleichs und der Klimavorsorge, sondern hat ganz praktische Implikationen für Apothekenbetriebe in Deutschland. Während private Wohngebäude zunehmend durch mediale Schlaglichter auf Flutereignisse in den Fokus rücken, gerät eine andere Risikogruppe bislang kaum ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit: Gewerbeimmobilien, darunter vor allem Apotheken, deren Betrieb durch Naturgefahren nicht nur unterbrochen, sondern im Extremfall dauerhaft beendet werden kann. Die Betroffenheit reicht von vollgelaufenen Lagerräumen über zerstörte Arzneimittelvorräte bis hin zur vollständigen Unbenutzbarkeit der Räumlichkeiten.
Für Apothekenbetreiber ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung. Einerseits ist ihr Standort – oft innerstädtisch, an Straßenecken oder in alten Bestandsbauten – statistisch gesehen besonders häufig von Starkregen, Kanalrückstau und Überschwemmungen betroffen. Andererseits hängen Betriebsfähigkeit und gesetzliche Verpflichtungen an strikten Lagerbedingungen, Kühlketten und einem hygienisch einwandfreien Umfeld. Schon ein temporärer Stromausfall durch Wasserschäden kann den Verlust ganzer Arzneimittelchargen bedeuten. Wenn keine Elementarschadenversicherung besteht, bleiben nicht nur Sanierung und Wiederaufbau auf eigene Kosten, sondern auch der daraus resultierende Umsatzausfall unversichert.
Zwar besteht derzeit in Deutschland keine Pflicht, sich gegen solche Risiken zu versichern – doch gerade das führt immer wieder zu katastrophalen Folgen, wie die Flut im Ahrtal 2021 eindrücklich zeigte. Auch dort standen etliche gewerbliche Betriebe vor dem Nichts, obwohl Versicherungsschutz verfügbar gewesen wäre. Wer nicht abgeschlossen hatte, musste um staatliche Hilfe bitten. Doch diese unterliegt politischen Bedingungen, ist an bürokratische Prozesse gebunden und in ihrer Höhe begrenzt. Die politische Tendenz, solche Hilfen künftig stärker einzuschränken oder an Mitwirkungspflichten zu knüpfen, ist unverkennbar.
Für Apotheken ergibt sich daraus eine klare Handlungspflicht. Eine strukturierte Risikoanalyse des Standortes, idealerweise durch einen spezialisierten Versicherungsmakler mit Branchenkenntnis, ist längst keine Kür mehr. Dabei sind nicht nur geografische Hochwasserzonen zu berücksichtigen, sondern auch lokale Kanalisationsnetze, Hanglagen oder versiegelte Böden in Neubaugebieten. Selbst Apotheken in vermeintlich „sicheren“ Regionen können durch Starkregenereignisse und Rückstau betroffen sein – Ereignisse, die heute flächendeckend zunehmen und nicht mehr nur auf klassische Flussuferlagen beschränkt sind.
Ebenso entscheidend wie die Absicherung gegen Gebäudeschäden ist die Frage der Erreichbarkeit für Kunden und Lieferanten. Wer nicht nur Schäden am Inventar, sondern auch monatelange Betriebsausfälle vermeiden will, sollte ergänzende Policen für Ertragsausfall, Lieferverzögerungen oder Sanierungskosten in Betracht ziehen. Die Versicherungswirtschaft bietet hier spezialisierte Modelle, doch deren Annahmebedingungen verschärfen sich kontinuierlich – je nach Risikoklasse und Schadenhistorie.
Hinzu kommt eine strukturelle Problematik: Wird eine Pflichtversicherung gesetzlich eingeführt, kann es zu pauschalen Prämienmodellen kommen, bei denen auch Apotheken in weniger gefährdeten Lagen überproportional mitbezahlen. Die Folge wäre eine Quersubventionierung hochriskanter Lagen – ein Umstand, den viele Betreiber aus Kostengründen und Fairnessüberlegungen ablehnen. In der Folge könnten wirtschaftlich gesunde Betriebe zusätzlich belastet werden, ohne selbst ein relevantes Risiko zu tragen. Andererseits: Wer heute auf eine freiwillige Absicherung verzichtet, riskiert nicht nur das wirtschaftliche Überleben seiner Apotheke, sondern spielt auch mit der Patientenversorgung vor Ort.
Gerade vor dem Hintergrund der angestrebten Versorgungsdichte im ländlichen Raum und der alternden Bevölkerungsstruktur dürfen Apotheken nicht ungeschützt sein. Die Pflichtversicherung mag politisch umstritten sein – die Eigenverantwortung bleibt jedoch unverrückbar. Betriebsinhaber sind gut beraten, nicht auf gesetzliche Regelungen zu warten, sondern heute aktiv zu handeln. Denn wer die Risiken seines Standorts kennt und entsprechende Versicherungsstrategien implementiert, sichert nicht nur seinen Betrieb, sondern auch das Vertrauen seiner Kundschaft – selbst dann, wenn das Wasser kommt.
Es gehört zu den stillen Widersprüchen der Gegenwart, dass Apotheken als unverzichtbarer Bestandteil der Daseinsvorsorge gelten, ihre strukturelle Sicherung aber zunehmend dem Zufall überlassen bleibt. Die Diskussion um eine Pflichtversicherung für Elementarschäden offenbart nicht nur ein gesamtgesellschaftliches Gerechtigkeitsproblem, sondern legt auch offen, wie wenig systematisch Risikovorsorge derzeit betrieben wird – insbesondere im gewerblichen Bereich. Dabei sind es gerade Betriebe wie Apotheken, die im Katastrophenfall nicht nur wirtschaftlich leiden, sondern auch infrastrukturell gebraucht werden.
Die Vorstellung, dass der Staat im Notfall schon einspringt, ist nicht nur naiv, sondern zunehmend fahrlässig. Wer sich auf politische Großzügigkeit verlässt, sitzt auf einer tickenden Zeitbombe. Denn die Realität ist: Öffentliche Haushalte geraten an ihre Grenzen. Die Bereitschaft, unversicherte Schäden aufzufangen, sinkt mit jedem zusätzlichen Haushaltsloch. Und sie schwindet besonders dann, wenn das Schadensrisiko vorhersehbar und versicherbar war. Wer heute keine Elementarschadenversicherung abschließt, tut dies nicht aus Unwissenheit, sondern aus Kalkül – oder aus Ignoranz gegenüber systemischen Gefahren.
Für Apotheken stellt sich das Problem in besonderer Schärfe. Hier geht es nicht nur um wirtschaftliche Substanz, sondern auch um gesetzlich geregelte Versorgungsaufträge. Die Pflicht zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung endet nicht mit dem Hochwasserpegel. Gleichzeitig dürfen Betriebsinhaber nicht zur Verfügungsmasse klimabedingter Zufälle werden. Wer Apothekerinnen und Apotheker auf dem Altar vermeintlicher Kostenvermeidung dem Risiko aussetzt, riskiert die Versorgungssicherheit ganzer Regionen.
Eine Pflichtversicherung kann helfen, Risiken zu verteilen – aber sie darf keine Einladung zum Standortblindflug werden. Wer in überflutungsgefährdeten Zonen baut oder Bestandsimmobilien nicht schützt, darf sich nicht auf ein Kollektiv berufen, das seine Entscheidungen bezahlt. Die Versicherungswirtschaft ist zu Recht skeptisch gegenüber einer Pflichtlösung ohne Steuerungselemente. Auch innerhalb der Branche selbst ist das Misstrauen groß, dass eine gesetzliche Pflicht ökonomisch tragfähig wäre.
Umso mehr liegt die Verantwortung derzeit bei den Apothekenbetreibern selbst. Sie müssen sich fragen, ob ihre Standortwahl, ihre Gebäudestrukturen und ihr Versicherungsschutz einem Extremereignis standhalten würden. Denn eines ist sicher: Der nächste Starkregen kommt. Und dann hilft kein Gesetz, sondern nur die Vorbereitung. Eine moderne Apothekenführung bedeutet heute auch: Risiko erkennen, Versicherungsschutz anpassen, Prävention betreiben. Es wäre tragisch, wenn der letzte Kunde einer zerstörten Apotheke der war, der dort seine Blutdrucktabletten vor dem Hochwasser holen wollte – und die Tür verschlossen fand.
Apotheken als Risikoquelle für Nachbarn und Umwelt
Warum die richtige Absicherung bei Feuer- und Umweltschäden überlebenswichtig ist
Wenn eine Apotheke brennt, endet der Schaden selten an der Grundstücksgrenze. Brände in Apotheken sind nicht nur Betriebsunfälle – sie entfalten eine enorme Wucht, deren Folgen bis weit in die Umgebung reichen. Chemikalienhaltige Rauchgase, kontaminierte Löschwassermassen, Explosionsgefahren durch leicht entzündliche Substanzen und unterbrochene Lieferketten können dazu führen, dass Nachbarn, Geschäfte und Arztpraxen betroffen sind. Was in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird: Der wirtschaftliche Schaden für Dritte wird regelmäßig auf den Apothekeninhaber zurückgewälzt. Denn sobald der Verursacher als haftbar gilt – sei es durch Fahrlässigkeit oder Organisationsversäumnisse – drohen ruinöse Regressforderungen, die schnell sechs- bis siebenstellige Höhen erreichen können.
Noch kritischer wird es, wenn der Inhaber selbst keine ausreichenden Versicherungsleistungen vorweisen kann. Dann bleibt nicht nur der eigene Betrieb auf der Strecke, sondern es greift eine zerstörerische Haftungskette, bei der auch Dritte auf ihren Schäden sitzen bleiben. Das Haftungsprinzip in Deutschland ist eindeutig: Wer einen Schaden verursacht, haftet auch für die mittelbaren Folgen – einschließlich der Betriebsunterbrechung bei angrenzenden Betrieben, der Wiederherstellungskosten von kontaminierten Böden oder der medizinischen Behandlung geschädigter Anwohner. Für Apothekenbetriebe heißt das: Jeder Brand kann zur existenziellen Belastungsprobe für das gesamte Quartier werden.
Doch nicht nur das Feuer selbst ist gefährlich – auch Umweltgefahren durch Chemikalienaustritt im Lager oder bei unsachgemäßer Entsorgung von Altstoffen bergen unkalkulierbare Risiken. Die gesetzliche Haftung für Umweltschäden greift in vielen Fällen bereits bei Verdacht, nicht erst bei erwiesener Kontamination. Eine undichte Kühlanlage, die fluorierte Treibhausgase freisetzt, kann ebenso zu einem teuren Haftungsfall werden wie ein ungesicherter Gefahrstoffschrank. Das eigentliche Risiko liegt dabei oft nicht in der groben Fahrlässigkeit, sondern in scheinbar harmlosen Alltagsfehlern.
Die Relevanz branchenspezifischer Versicherungen zeigt sich besonders deutlich, wenn es um solche komplexen Schadenslagen geht. Standard-Haftpflichtversicherungen decken in der Regel nur Personen- und einfache Sachschäden ab. Für Apotheken mit Labor, Rezeptur, Gefahrstoffen und temperaturgeführten Arzneimitteln ist das völlig unzureichend. Notwendig ist eine sogenannte Allgefahrendeckung mit Umwelthaftpflichtbaustein, ergänzt durch Ertragsausfallversicherung, Betreiberhaftpflicht und Cyberdeckungen – denn im Brandfall sind auch digitale Systeme betroffen.
Zudem darf der Schutz nicht an der Türschwelle enden. Komplexe Risiken wie eine versehentliche Kontaminierung durch Rückstände im Kundenbereich, ausgelöst durch Rauchgase oder Löschmittel, lassen sich nur mit leistungsstarken Spezialpolicen abdecken. Noch gravierender ist das Risiko bei Filialapotheken oder Standorten in Gebäudekomplexen mit mehreren Parteien. Hier droht im Schadensfall nicht nur ein Sach-, sondern ein Haftungscluster – mit Forderungen aus unterschiedlichen Richtungen, mit juristischen Auseinandersetzungen über Mitverursachung und Beweislast.
Ein besonders gefährlicher Punkt ist die latente Deckungslücke zwischen Versicherungsmodulen. Inhaber glauben oft, sie seien gegen „Feuer“ ausreichend abgesichert. Doch ob auch das kontaminierte Löschwasser bei der benachbarten Arztpraxis oder der Stromausfall durch ein durchgeschmortes Kabel in der Gemeinschaftsversorgung mitversichert ist, bleibt unklar – und wird im Schadensfall zur juristischen Grauzone.
Entscheidend ist daher nicht nur die Existenz von Versicherungen, sondern deren inhaltliche Passgenauigkeit. Produkte wie die PharmaRisk®-OMNI-Deckung bieten einen sektorübergreifenden Schutz gegen physische, digitale und haftungsrechtliche Gefahren. Das umfasst auch Betriebsunterbrechung Dritter, Umweltschäden, Datenverluste und Regressforderungen – ein Schutzschirm, der nicht auf einzelne Schadensarten begrenzt ist.
In einem zunehmend haftungssensiblen Umfeld mit steigenden gerichtlichen Anspruchsniveaus wird die umfassende Risikoabsicherung für Apotheken nicht nur zur Kür, sondern zur Pflicht. Ohne präzise abgestimmte Police kann jeder Brand, jeder Chemieunfall, jedes Versehen mit betäubungsmittelhaltigen Rückständen zur Existenzfrage werden – nicht nur für den Apothekenbetrieb, sondern für das gesamte Umfeld.
Apotheken gelten als Orte der Heilung, nicht der Gefahr. Doch wer die Realität moderner Betriebsrisiken ignoriert, lebt in einem gefährlichen Irrtum. Die Haftungsrealität der Gegenwart kennt keine Schonfrist – und erst recht keine Rücksicht auf gute Absichten. Ein einziges Ereignis, ein defektes Kühlgerät, ein nicht ordnungsgemäß gelagerter Gefahrstoff oder ein übersehener technischer Defekt reicht aus, um ein Inferno zu entfachen – buchstäblich und juristisch.
Das eigentlich Erschreckende ist nicht das Risiko an sich – sondern wie unzureichend viele Apotheken dafür gewappnet sind. Inhabende verlassen sich auf pauschale Betriebshaftpflichten, auf einfache Inhaltsdeckungen, auf Annahmen. Doch die Komplexität ihrer Betriebe hat sich längst verselbständigt: Rezepturen, Substanzen, EDV, Kühlketten, Hygienepflichten – jedes Detail trägt das Potenzial zur Haftung in sich.
Feuer- und Umweltschäden gehören heute zu den teuersten Haftungsrisiken überhaupt. Wer glaubt, es handle sich dabei um seltene Extremszenarien, verkennt die Dynamik solcher Ereignisse. Jeder Brand ist ein juristischer Flächenbrand. Je dichter die Bebauung, je größer die Nachbarschaft, desto massiver die Kettenreaktionen. Wer haftet für den Verlust der Kühlkette beim benachbarten Impfzentrum? Wer ersetzt das kontaminierte Wasser im Zahnarztlager nebenan?
Gerichte urteilen heute mit klarer Kante. Die Schwelle zur „erkennbaren“ Fahrlässigkeit ist schnell überschritten – und mit ihr die Deckungspflicht der Versicherer. Ohne branchenspezifische Allgefahrenpolicen steht der Apothekeninhaber buchstäblich im Rauch. Der finanzielle Ruin droht nicht nur durch das Feuer, sondern durch das, was danach kommt: Regressforderungen, Sachverständigenstreitigkeiten, Betriebsunterbrechungsklagen.
Die Versicherungsbranche hat auf diese Entwicklung reagiert – aber längst nicht jeder Betrieb nutzt die Möglichkeiten. Viel zu oft dominieren Preisvergleiche statt Risikoprofile, Standardlösungen statt Maßanfertigungen. Dabei ist der Schutz der Apotheke kein beliebiges Gut, sondern integraler Bestandteil unternehmerischer Verantwortung – gegenüber Mitarbeitenden, Nachbarn und der Gesellschaft.
Wer eine Apotheke betreibt, betreibt ein Hochrisikounternehmen im Kleinstformat. Der Anspruch an die Absicherung darf daher nicht geringer sein als der an die Arzneimittelsicherheit. Eine moderne Apotheke ohne vollumfängliche Risikoarchitektur ist wie ein Reinraum mit offener Tür: ein Widerspruch in sich – und ein Einfallstor für Katastrophen.
Wenn Verordnungen fliegen lernen
Das E-Rezept verändert die Marktmechanik und bringt neue Unsicherheiten für Apotheken
Die Einführung des E-Rezepts hat das Machtgefüge im deutschen Apothekenmarkt spürbar verändert. Wo früher Muster-16-Formulare eine gewisse Standorttreue sicherten und Patienten automatisch zu ihrer Stammapotheke führten, sorgt die Digitalisierung nun für eine neue Offenheit der Versorgungskanäle. Verordnungen sind plötzlich mobil – sie „fliegen“, wie manche Branchenkenner es formulieren. Und mit ihnen beginnt ein Umverteilungskampf, bei dem Plattformen, Versandapotheken und technische Dienstleister massiv in Stellung gehen.
Vor allem die Versender erkennen in dieser technologischen Umstellung eine möglicherweise letzte Gelegenheit, um doch noch nennenswerte Anteile im deutschen Rx-Markt zu gewinnen. Mit aggressiven Investitionen in digitale Infrastruktur und massive Werbemaßnahmen versuchen sie, elektronische Verordnungen direkt in ihre eigenen Versorgungskanäle umzuleiten – nicht selten mit dem Ziel, sie grenzüberschreitend in die Niederlande zu verschieben. Noch ist der Erfolg begrenzt, aber die Richtung ist eindeutig: Der stationäre Apothekenbetrieb steht unter wachsendem Druck, während Investoren gesteuerte Plattformlösungen zunehmend Marktanteile beanspruchen.
Gleichzeitig wächst auf Patientenseite die Auswahl. Die neuen digitalen Kanäle – von Apotheken-Apps über Anbieterplattformen wie gesund.de oder ia.de bis hin zu Terminals in medizinischen Versorgungszentren – ermöglichen es den Patienten, ihr E-Rezept dort einzulösen, wo es ihnen am einfachsten oder attraktivsten erscheint. Die Bequemlichkeit digitaler Abläufe trifft auf ein System, das bislang von persönlicher Bindung und lokaler Verfügbarkeit geprägt war.
Doch diese Vielfalt hat einen Preis. Die technischen Lösungen, mit denen Apotheken heute an das E-Rezept-System angebunden werden – sei es über Softwareschnittstellen, Hardware-Terminals oder Plattformintegration – sind in der Regel nicht kostenlos. Vielmehr geben die Anbieter ihre Entwicklungskosten an die Apotheken weiter. Die Betriebe sehen sich mit steigenden Lizenzgebühren, zusätzlichen Wartungskosten und Investitionszwängen konfrontiert, während die Einnahmeseite gleichbleibt oder schrumpft. Ökonomisch wird der Wettbewerb um das E-Rezept nicht nur über Patientenbindung, sondern vor allem über Technologiezugang entschieden – mit wachsender Abhängigkeit von externen Dienstleistern.
Zugleich zeigt der Blick auf staatlich koordinierte Ansätze, wie etwa die Gedisa, dass eine planwirtschaftliche Organisation des digitalen Wandels keine überzeugende Alternative darstellt. Trotz enormer finanzieller Mittel und politischer Rückendeckung sind die Erfolge bisher überschaubar. Lösungen, die flächendeckend funktionieren, zeitnah verfügbar sind und wirtschaftlich tragfähig erscheinen, bleiben rar. Die Apothekenbranche fühlt sich im Ergebnis allein gelassen – zwischen wildem Plattformkapitalismus auf der einen Seite und träger Staatsdigitalisierung auf der anderen.
Was fehlt, ist ein klarer regulatorischer Rahmen, der die Spielregeln des digitalen Wettbewerbs im Apothekenwesen definiert. Wer darf auf Rezepte zugreifen? Welche technischen Standards sind verbindlich? Wer trägt die Kosten der Umstellung? Ohne Antworten auf diese Fragen droht der Strukturwandel zu einem wirtschaftlichen Belastungstest für die stationären Apotheken zu werden. Noch funktioniert das neue System – dank hoher Anpassungsleistung vor Ort und pragmatischer Lösungen auf Apothekenebene. Doch wie lange diese Flexibilität finanzierbar bleibt, ist ungewiss. Der E-Rezept-Markt ist eröffnet – aber die Spielregeln sind bislang nur für wenige von Vorteil.
Die Digitalisierung des Rezepts ist kein technisches Upgrade, sondern ein Systemwechsel. Das E-Rezept macht aus einem historisch gewachsenen Versorgungspfad ein digitales Verteilnetz, in dem nicht mehr Nähe und Vertrauen, sondern Sichtbarkeit und Klickkomfort entscheiden. Was als Fortschritt gefeiert wurde, entpuppt sich für viele stationäre Apotheken als finanzielle und organisatorische Zumutung. Denn während die Innovationsrendite vor allem bei Plattformanbietern, Softwareschmieden und Versendern landet, bleiben die Kosten der Transformation am Point of Sale hängen.
Der Wettbewerb um das E-Rezept verläuft asymmetrisch. Die stationären Apotheken tragen die Verantwortung für Arzneimittelsicherheit, patientennahe Beratung und Versorgungssicherheit – aber sie haben kaum Einfluss auf die Wege, über die E-Rezepte zu ihnen gelangen. Gleichzeitig ringen sie um digitale Sichtbarkeit auf Plattformen, die oft von kapitalstarken Investoren kontrolliert werden. Diese Dynamik gefährdet das Gleichgewicht eines Marktes, der lange Zeit auf Stabilität, Vertrauensbeziehungen und klar definierte Rollen angewiesen war.
Es ist eine bittere Ironie, dass ein Instrument zur Effizienzsteigerung nun vor allem neue Ineffizienzen schafft. Apotheken müssen zusätzliche Systeme anschaffen, Schnittstellen bedienen, Prozesse anpassen und neue Risiken tragen – nicht selten auf eigene Rechnung. Die technologische Vielfalt verwandelt sich in ökonomische Fragmentierung. Wer mithalten will, muss investieren – in Hardware, Software und Marketing. Wer nicht investiert, verliert Sichtbarkeit, Reichweite und Rezepte.
Dabei ist der Status quo keine Notwendigkeit, sondern das Ergebnis politischer und regulatorischer Versäumnisse. Der Markt für digitale Rezeptlösungen wurde geöffnet, ohne dass ein verbindliches Ordnungsmodell definiert wurde. So konnten sich Plattformlogiken ausbreiten, die dem Gesundheitswesen fremd sind: Reichweite vor Qualität, Aufmerksamkeit vor Verantwortung, Skalierung vor Versorgung. Die Folge ist ein Wildwuchs, bei dem niemand mehr weiß, wer eigentlich wofür verantwortlich ist.
Es braucht eine politische Neuausrichtung, die die Versorgungssicherheit ins Zentrum rückt und den digitalen Wettbewerb in klare Bahnen lenkt. Der Gesetzgeber muss technische Standards definieren, Zugriffsrechte regeln und Kostentransparenz schaffen. Nur so lässt sich verhindern, dass Apotheken zu zahlenden Versuchskaninchen eines Experiments werden, dessen Ergebnisse ungewiss und dessen Kosten nicht verteilt, sondern abgewälzt werden. Digitalisierung darf kein Geschäftsmodell auf Kosten derer sein, die sie am Ende umsetzen müssen. Sie muss ein Ordnungsprojekt sein – sonst droht sie, aus der Spur zu geraten.
Strategiewechsel statt Stillstand
Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenz bieten neue Perspektiven für angeschlagene Apotheken
Die wirtschaftliche Lage vieler Apothekenbetriebe hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Rückläufige Margen, steigende Kosten und ein politisches Umfeld ohne wirtschaftliche Planungssicherheit sorgen zunehmend für finanzielle Schieflagen. Dass immer mehr Apotheken den Weg in die Insolvenz gehen, ist daher kein Zufall, sondern Ausdruck einer strukturellen Krise. Dabei bietet das deutsche Insolvenzrecht durchaus Wege, finanzielle Krisen zu bewältigen, ohne dass es zum eigentlichen Insolvenzverfahren kommen muss. Diese Wege sind nicht nur diskreter und unternehmerfreundlicher, sondern oft auch wirksamer – wenn sie rechtzeitig genutzt werden. Steuerrechtsanwalt Dr. Markus Rohner erläuterte beim ApothekenRechtTag im Rahmen der Interpharm Online, wie solche Sanierungsmaßnahmen außerhalb der Insolvenz praktisch ablaufen und worauf Apothekenbetreiber dabei zwingend achten sollten.
Kernstück der außergerichtlichen Sanierung ist das sogenannte StaRUG-Verfahren, benannt nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen. Es wurde 2021 als Reaktion auf die Corona-Krise eingeführt und bietet seither die Möglichkeit, mit Gläubigern vertraglich neue Zahlungsziele und Umstrukturierungen zu vereinbaren – ohne den formalen Makel eines Insolvenzverfahrens. Voraussetzung dafür ist eine drohende, aber noch nicht eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Genau hier liegt das Zeitfenster für Apothekeninhaber: Wer zu spät handelt, verliert diese Option und rutscht direkt in die Insolvenz.
Das Verfahren erfordert keine Veröffentlichung, keine gerichtliche Eröffnung, keinen Insolvenzverwalter – sondern gezielte Kommunikation mit den Gläubigern, allen voran Banken, Vermietern und Großhändlern. Die Sanierungsplanung muss schlüssig, durchfinanziert und auf nachhaltige Fortführung des Betriebs ausgelegt sein. Für Apotheken bedeutet das in der Praxis oft, sich nicht nur mit Zahlen zu beschäftigen, sondern auch mit strukturellen Fragen: Ist das aktuelle Geschäftsmodell tragfähig? Wie kann die Kostenstruktur entschlackt werden? Welche Potenziale gibt es im Bereich Zusatzleistungen oder Rezeptlogistik? Nur mit einem tragfähigen Zukunftskonzept lassen sich die notwendigen Gläubigerzustimmungen erreichen.
Ein weiterer, oft unterschätzter Vorteil: Im StaRUG-Verfahren können einzelne Gruppen von Gläubigern gezielt einbezogen werden, während andere außen vor bleiben. Diese Flexibilität erlaubt es Apotheken, den Sanierungspfad präzise zu gestalten – etwa indem nur Großhändlerverbindlichkeiten restrukturiert werden, ohne gleichzeitig Banken oder das Finanzamt einzubinden. Das kann besonders für inhabergeführte Betriebe mit überschaubarem Schuldenprofil eine große strategische Chance sein.
Trotzdem ist das Verfahren kein Freibrief. Ohne qualifizierte juristische und betriebswirtschaftliche Begleitung sind Sanierungspläne kaum erfolgreich umzusetzen. Zudem besteht für Apotheken mit Filialstruktur, umfangreichen Mietverträgen oder bereits laufenden Vollstreckungsmaßnahmen ein deutlich höherer Komplexitätsgrad. Der Aufwand für die Umsetzung steigt mit der Unternehmensgröße – aber auch mit der Intransparenz früherer Finanzentscheidungen.
Was viele Apothekeninhaber nicht wissen: Auch bereits angeschlagene Betriebe, die keine kurzfristige Kreditlinie mehr erhalten, können über Sanierungskredite oder Förderinstrumente neue Liquidität erschließen – vorausgesetzt, es liegt ein tragfähiger Sanierungsplan vor. Hier kommt es auf strategische Planung, rechtskonforme Dokumentation und frühzeitige Kommunikation an. Die größten Fehler in solchen Verfahren sind mangelnde Vorbereitung, zu spätes Eingreifen und die irrige Annahme, man könne aus eigener Kraft heraus ohne externe Hilfe wieder auf Kurs kommen.
Zusammengefasst lautet die Botschaft: Wer frühzeitig handelt, hat eine reelle Chance, den eigenen Betrieb zu retten – ohne das Stigma der Insolvenz, ohne öffentliche Registereinträge, ohne das Risiko der Zerschlagung. Doch je länger gewartet wird, desto enger wird der Korridor rechtlich und operativ. Apotheken in wirtschaftlicher Not sollten daher nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern die bestehenden Sanierungsmöglichkeiten professionell ausloten und frühzeitig aktiv werden.
Die Debatte um Apothekeninsolvenzen leidet unter einer gefährlichen Vereinfachung: Entweder läuft ein Betrieb rund oder er ist pleite. Diese binäre Sichtweise blendet genau jene Grauzonen aus, in denen sich viele Apotheken heute tatsächlich befinden – zwischen defizitärem Alltag und realer Zukunftsgefährdung. In dieser Zwischenwelt braucht es mehr als Durchhalteparolen oder Strukturdebatten. Es braucht praktikable Rettungswege, die wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben realistische Überlebensperspektiven bieten. Die außergerichtliche Sanierung ist ein solcher Weg – diskret, wirksam, strukturell anschlussfähig.
Gerade in einer Branche wie der Apothekenlandschaft, die regulatorisch überfrachtet, wirtschaftlich unterfinanziert und öffentlich unterrepräsentiert ist, stellt das StaRUG-Verfahren eine seltene Chance dar, steuernd statt reaktiv tätig zu werden. Doch viele Apotheker scheuen diesen Weg – aus Unsicherheit, Unkenntnis oder Angst vor Reputationsverlust. Dabei ist die frühzeitige Nutzung solcher Instrumente kein Zeichen von Schwäche, sondern von Führungskraft. Es erfordert Mut, sich der Wahrheit über den eigenen Betrieb zu stellen, aber es eröffnet Handlungsspielräume, die im Insolvenzverfahren oft nicht mehr existieren.
Zugleich wird hier ein systemisches Versäumnis sichtbar: Dass überhaupt so viele Apothekenbetriebe auf diesen Rettungsweg angewiesen sind, ist Ausdruck einer politischen Ignoranz gegenüber den wirtschaftlichen Realitäten der Vor-Ort-Versorgung. Wer sich auf dem Markt behaupten will, braucht mehr als gute Beratung und pharmazeutische Expertise – er braucht betriebswirtschaftliche Handlungsfreiheit und ein Umfeld, das unternehmerisches Handeln zulässt. Die wachsende Nachfrage nach außergerichtlichen Sanierungen ist nicht nur eine Reaktion auf individuelle Fehlentwicklungen, sondern ein Symptom einer Branche im strukturellen Alarmzustand.
Für Apothekenbetreiber gilt daher: Wer die Lage verkennt oder zu lange auf die große Wende von außen wartet, wird von den Realitäten überrollt. Die Insolvenz droht nicht als plötzliches Unglück, sondern als logische Folge unterlassener Entscheidungen. Die gute Nachricht: Noch gibt es Instrumente, mit denen sich dieser Entwicklung entgegenwirken lässt. Doch sie erfordern Wissen, Mut – und den Willen, die eigene Rolle als Unternehmer ernst zu nehmen. Nicht der Markt allein entscheidet über das Überleben einer Apotheke, sondern auch die Fähigkeit, Verantwortung für den eigenen Kurs zu übernehmen. Wer das erkennt, hat noch Spielraum. Wer nicht, wird ihn verlieren.
Fixum auf 9,50 Euro geplant
Die neue Regierung beauftragt BMWK und BMG mit der Umsetzung einer längst überfälligen Honorarerhöhung
Die neue Bundesregierung will eines der langwierigsten und konfliktträchtigsten Themen des Apothekenwesens nun entschlossen angehen: die Erhöhung des Fixhonorars für verschreibungspflichtige Arzneimittel auf 9,50 Euro. Dieses Vorhaben ist Teil des Koalitionsvertrags und wird nach den zähen Regierungsverhandlungen mit besonderer Priorität behandelt. Die Verantwortung für die Umsetzung liegt beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das unter der neuen Führung von Katherina Reiche (CDU) nun rasch liefern muss.
Der Umstand, dass das Apothekenhonorar in den Zuständigkeitsbereich des BMWK fällt, ist nicht neu, doch wurde das Thema in den letzten Jahren vor allem im gesundheitspolitischen Kontext diskutiert. Die neue Koalition, die nach schwieriger Kanzlerwahl und verspäteter Vereidigung nun operativ handlungsfähig ist, will dieses strukturelle Ungleichgewicht zwischen Verantwortung und Gestaltungsspielraum auflösen. Die Maßgabe: Wirtschaftspolitik und Gesundheitspolitik sollen bei der Honorierung der Apotheken Hand in Hand agieren.
In ersten Hintergrundgesprächen wurde bestätigt, dass die Abstimmungen zwischen BMWK und Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bereits angelaufen sind. Eine isolierte Umsetzung durch das Wirtschaftsministerium ist ausgeschlossen – zu tiefgreifend sind die gesundheitspolitischen Implikationen einer Honorarerhöhung. Die neue Gesundheitsministerin, deren Name zum Redaktionsschluss noch nicht offiziell bestätigt war, hat jedoch signalisiert, dass man das Vorhaben „aktiv begleiten“ werde.
Die geplante Erhöhung auf 9,50 Euro wäre die erste substanzielle Anpassung seit Jahren. Während andere Akteure im Gesundheitswesen kontinuierlich Tarifanpassungen oder Zuschläge durchsetzen konnten, blieb das Fixum der Apotheken über lange Zeit konstant – trotz Inflation, Personalengpässen und wachsender bürokratischer Last. In vielen Betrieben führt dies inzwischen zu massiven wirtschaftlichen Schieflagen.
Doch der Weg von der Koalitionsabsicht zur tatsächlichen Umsetzung ist lang. Es bedarf einer gesetzgeberischen Grundlage, finanzieller Plausibilisierung und der Zustimmung innerhalb des parlamentarischen Prozesses. Zudem ist mit Widerständen aus dem Kassenlager zu rechnen. Erste Signale deuten darauf hin, dass einige Kostenträger eine pauschale Honorarerhöhung ohne gleichzeitige „Effizienzgewinne“ ablehnen. Auch innerhalb der Ampelkoalition gibt es Stimmen, die eine Fixum-Erhöhung nur als Teil eines umfassenderen Reformpakets akzeptieren wollen.
Dennoch überwiegt im Apothekenlager die Hoffnung, dass mit dem Koalitionsvertrag ein Kurswechsel eingeleitet wurde. ABDA und Landesverbände betonen, dass die 9,50 Euro keineswegs überzogen, sondern betriebswirtschaftlich notwendig seien. In Zeiten steigender Betriebskosten, sinkender Margen und wachsender Versorgungsverantwortung könne das Apothekenwesen nur dann überleben, wenn die politische Zusage auch haushaltswirksam hinterlegt werde.
Die Ernennung Katherina Reiches zur Wirtschaftsministerin wird von Branchenkennern als Chance, aber auch als Belastungsprobe gewertet. Als CDU-Politikerin in einer neuen Konstellation muss sie nicht nur den eigenen Apparat auf das Apothekenthema einschwören, sondern auch politische Brücken zur Gesundheitspolitik schlagen. Der Koalitionsvertrag gibt ihr dafür einen klaren Auftrag – ob daraus ein nachhaltiger Umbau der Apothekenvergütung wird, bleibt offen.
Die Ankündigung einer Fixum-Erhöhung auf 9,50 Euro ist kein Detail am Rande, sondern ein Kernversprechen der neuen Bundesregierung – und ein Testfall für die Handlungsfähigkeit der neuen Ministerinnen. Die wirtschaftliche Schieflage vieler Apotheken hat sich längst zu einer strukturellen Krise ausgeweitet. Ein Fixum, das sich über mehr als ein Jahrzehnt nur marginal verändert hat, steht sinnbildlich für die politische Trägheit gegenüber den realen Belastungen der Apotheken.
Doch mit der Fixum-Erhöhung allein ist es nicht getan. Die eigentliche Herausforderung liegt in der institutionellen Konstellation: Die Apothekervergütung liegt beim BMWK, die gesundheitspolitische Expertise aber beim BMG. Was bislang oft als Kompetenzverschränkung die Verantwortung verwischte, soll nun zur kooperativen Lösung werden. Ob diese politische Gleichzeitigkeit gelingt, hängt nicht nur vom Koalitionswillen ab, sondern vom konkreten Handeln.
Die Erwartungen sind enorm. Reiche übernimmt kein Ressort in Routine, sondern ein Amt inmitten wachsender Systemverwerfungen. Die Entscheidung, sie mit dem Fixum-Thema zu betrauen, verpflichtet zur aktiven Gestaltungsrolle. Es reicht nicht, die Apotheken „zu verstehen“ – sie müssen wirtschaftlich abgesichert und rechtlich entlastet werden.
Eine Honorarerhöhung ohne Strukturveränderung wird das Problem nur verschieben. Denn solange das Fixum politisch festgelegt wird und keine dynamische Anpassung an reale Kostenstrukturen vorsieht, bleibt das Vergütungssystem der Apotheken eine Dauerbaustelle. Wer 9,50 Euro verspricht, muss auch dafür sorgen, dass dieses Versprechen nicht in technokratischen Prüfverfahren zerrieben wird.
Die Apothekerinnen und Apotheker haben lange genug auf Wertschätzung gewartet. Jetzt brauchen sie keine Gesten, sondern Planbarkeit, Schutz und finanzielle Stabilität. Die neue Regierung steht vor der Wahl, ob sie die Apotheken als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge anerkennt – oder sie weiter im Reformstau versinken lässt. Der Fixum-Beschluss ist der erste Schritt. Er muss nicht perfekt sein. Aber er muss kommen – schnell, klar und rechtssicher.
Shop Apotheke drängt in die Heimversorgung – regulatorisches Minenfeld
Redcare testet Grenzen des Machbaren aus und riskiert politischen Gegenwind
Redcare, der niederländische Betreiber der Plattform Shop Apotheke, setzt seine Wachstumsstrategie fort – mit neuen Ambitionen, die weit über das bisherige Geschäftsmodell hinausreichen. Während das Unternehmen bisher stark auf das Einlösen digitaler Rezepte im Direktvertrieb an Privatkunden fokussiert war, deutet sich nun eine strategische Neuausrichtung an: Die Pflegeheimversorgung scheint zunehmend in den Fokus zu rücken. Der Markt mit älteren, chronisch erkrankten Menschen verspricht stabile Umsätze und langfristige Kundenbindungen. Doch genau dieser Markt ist bislang streng reguliert und vor allem den Vor-Ort-Apotheken vorbehalten.
Die Anzeichen mehren sich, dass Redcare diesen Bereich dennoch sondiert. In Analystengesprächen fällt der Begriff „strukturierte Versorgung“ häufiger, flankiert von Andeutungen, dass man sich neue Patientengruppen erschließen wolle. Auch das Marketing hat sich verändert: Statt ausschließlich auf jüngere Digitalaffine zu zielen, werden nun auch Senioren mit Informationskampagnen bedacht. Für den Konzern ist das nachvollziehbar. Das Potenzial ist riesig. Die demografische Entwicklung spricht eine klare Sprache – immer mehr Menschen werden pflegebedürftig, und der Bedarf an zuverlässiger Arzneimittelversorgung im Heim steigt.
Doch die regulatorischen Hürden sind gewaltig. Die Heimversorgung unterliegt klaren gesetzlichen Vorgaben, die sich aus dem Sozialgesetzbuch V, aus Heimgesetzen der Länder sowie aus Bundesrahmenverträgen ergeben. Ohne Versorgungsvertrag mit einem Heim und ohne die physische Präsenz eines Apothekers vor Ort ist eine direkte Belieferung unzulässig. Genau diese Regel schützt die bewährte Struktur aus ortsansässigen Apotheken, die mit Pflegeheimen über Versorgungsverträge und persönliche Betreuung eine enge Beziehung pflegen.
Für Redcare ist dies mehr als nur ein juristisches Detail – es ist eine Wachstumsbremse. Während das E-Rezept theoretisch jedem Versandhändler neue Kunden bringen kann, ist die Heimversorgung ein anderer Markt. Hier geht es nicht um einzelne Bestellungen, sondern um kontinuierliche Versorgung, Medikationsanalysen, Notfallpläne und eine enge Abstimmung mit Pflegepersonal. All das ist aus der Ferne kaum zu leisten.
Trotzdem scheint das Unternehmen Möglichkeiten auszuloten, diese Grenzen zu verschieben oder zu umgehen. Diskutiert wird etwa der Aufbau neuer Logistikstrukturen, Partnerschaften mit Pflegeheimträgern oder sogar Beteiligungen an pharmazeutischen Dienstleistern, die formal als Zwischenakteure auftreten könnten. Damit würde sich Redcare auf ein juristisch heikles Terrain begeben – und zugleich politisch Aufmerksamkeit erzeugen.
Denn die Heimversorgung ist nicht nur ein Versorgungsmodell, sondern auch ein gesellschaftlicher Schutzraum. Der Gesetzgeber hat sie bewusst gegen aggressive Marktkräfte abgeschirmt. Der Versuch, diese Mauern zu durchbrechen, könnte nicht nur zu juristischen Auseinandersetzungen führen, sondern auch politischen Widerstand provozieren. Apothekerverbände dürften hellhörig sein. Schon bei der Einführung des E-Rezepts hatten sie vor einem Umleiten der Verordnungen ins Ausland gewarnt – nun droht ein weiterer Angriff auf ihre Kerngeschäfte.
Die entscheidende Frage lautet also nicht nur, ob Redcare die technische oder logistische Fähigkeit hat, in die Heimversorgung einzusteigen. Entscheidend wird sein, ob der Gesetzgeber den rechtlichen Rahmen künftig verändert – oder ob das Unternehmen Schlupflöcher findet, die den Versandapotheken einen Einstieg ermöglichen, ohne die bestehenden Strukturen offiziell zu verletzen. Klar ist: Die Suche nach neuen Märkten ist aus Sicht von Redcare wirtschaftlich logisch. Ob sie politisch durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt.
Was Redcare derzeit versucht, ist nichts Geringeres als ein vorsichtiger Sturm auf eine Bastion der Vor-Ort-Apotheken. Die Pflegeheimversorgung ist kein gewöhnlicher Markt – sie ist der Inbegriff eines sensiblen Versorgungsauftrags. Wer glaubt, man könne diesen Bereich mit denselben Mitteln erobern wie den Onlinehandel mit Lifestyle-Produkten, verkennt die Realität.
Pflegeheime funktionieren anders. Hier geht es nicht um Klicks und Konversionen, sondern um Versorgungssicherheit, Vertrauen, Haftung, Interaktion mit Pflegepersonal, Medikationschecks im Alltag und die Verantwortung für besonders schutzbedürftige Menschen. Es ist ein Bereich, in dem die Apotheke noch als Versorger vor Ort gebraucht wird – nicht als Versanddienstleister mit Callcenter.
Wenn Redcare tatsächlich ernsthaft prüft, wie man in diesen Markt eindringen könnte, zeugt das von einem radikalen Strategiewechsel – und von der Bereitschaft, sich auf regulatorisch vermintes Gelände zu begeben. Es ist auch ein Testballon für die Politik. Reagiert der Gesetzgeber? Schärft er den Schutzrahmen? Oder öffnet er schleichend die Tür für neue Versorgungsmodelle, bei denen Dienstleistung durch digitale Prozesse ersetzt wird?
Spannend ist dabei die Rolle der Pflegeheimbetreiber. Einige dürften dem digitalen Versprechen offener gegenüberstehen, andere werden auf die bewährte Nähe der Hausapotheke nicht verzichten wollen. Entscheidend wird sein, ob sich Strukturen herausbilden, in denen Redcare als Logistikpartner für Kooperationsapotheken agieren könnte – eine Art Versorgung über Bande, rechtlich gedeckt, aber politisch höchst umstritten.
Diese Entwicklung wäre nicht nur ein Dammbruch für die Heimversorgung. Sie wäre auch ein Präzedenzfall für die Neuverteilung von Rollen im Gesundheitssystem. Wer beliefert künftig die Verletzlichsten? Wer trägt Verantwortung, wenn Therapien scheitern oder Wechselwirkungen übersehen werden? Die Antwort darauf darf nicht aus betriebswirtschaftlicher Bequemlichkeit gegeben werden. Sie muss sich am Versorgungsauftrag und am Gemeinwohl orientieren.
Redcare testet derzeit, wie weit man sich aus dem E-Rezept-Modell herausentwickeln kann – hin zu einer Struktur, in der die klassische Apotheke immer weiter zurückgedrängt wird. Das ist ökonomisch nachvollziehbar, aber gesundheitspolitisch riskant. Es braucht daher jetzt eine klare gesetzgeberische Positionierung, bevor aus einem strategischen Test ein irreversibler Systembruch wird.
Trump kündigt radikale Preisoffensive auf dem US-Arzneimittelmarkt an
US-Präsident will mit Dekret Medikamentenpreise an niedrigstes Weltniveau koppeln
Donald Trump kehrt mit einem bekannten, aber in neuer Schärfe vorgetragenen Vorschlag in die gesundheitspolitische Debatte zurück. In einem angekündigten Dekret will der ehemalige US-Präsident die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente drastisch senken – und zwar so, dass amerikanische Patienten künftig höchstens den günstigsten weltweit bekannten Preis zahlen sollen. Die Ankündigung erfolgte mit großem medialem Getöse über Trumps bevorzugte Kommunikationsplattform Truth Social, wo er das Dekret als eines der „folgenreichsten in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ bezeichnete. Noch vor wenigen Tagen hatte Trump nebulös von einer „weltbewegenden Ankündigung“ gesprochen. Nun ist klar: Es geht um einen Frontalangriff auf die Preisgestaltungsmacht der Pharmaindustrie.
Das Vorhaben ist brisant, denn Medikamentenpreise gehören zu den heikelsten und am stärksten politisierten Themen im US-Gesundheitssystem. Anders als in vielen europäischen Staaten gibt es in den Vereinigten Staaten bislang keine flächendeckende staatliche Regulierung für Arzneimittelpreise. Die Preisbildung liegt weitgehend in der Hand der Hersteller, und das Ergebnis ist seit Jahren ein international auffälliges Preisgefälle. Dieselben Medikamente, hergestellt in denselben Labors, sind in Deutschland oder Kanada oft nur halb so teuer wie in den USA. Die Folge: Millionen Amerikaner haben mitunter keinen Zugang zu dringend benötigten Therapien.
Trump nimmt dieses Missverhältnis nun erneut ins Visier. Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte er versucht, mit dem Prinzip der „Most Favored Nation“ einen Mechanismus einzuführen, bei dem sich die Erstattungspreise bestimmter Medikamente an den niedrigsten Preisen vergleichbarer Industrienationen orientieren. Der Ansatz stieß damals auf heftigen Widerstand von Industrievertretern und konservativen Abgeordneten – und scheiterte letztlich an rechtlichen Hürden. Dass Trump nun versucht, dieses Modell in erweiterter Form neu zu beleben, dürfte nicht zuletzt auch als Antwort auf das 2022 von Joe Biden unterzeichnete Gesetzespaket zu werten sein, das erstmals dem staatlichen Seniorenversicherungsprogramm Medicare ein eingeschränktes Verhandlungsrecht bei Arzneimittelpreisen eingeräumt hatte.
Trumps Neuerung geht nun deutlich weiter. Er verspricht, dass die USA künftig exakt den Preis zahlen werden, den das jeweilige Medikament im billigsten Land der Welt kostet – unabhängig davon, ob dieses Land zur Gruppe der Industriestaaten gehört oder nicht. Das wäre ein internationaler Paradigmenwechsel und könnte weitreichende Folgen für globale Preisstrukturen nach sich ziehen. Pharmaunternehmen könnten gezwungen werden, ihre gesamte Preisstrategie neu zu kalkulieren – oder sich mit juristischen Mitteln gegen das Dekret wehren.
Ob Trumps Plan rechtlich Bestand haben wird, ist ungewiss. Schon das ursprüngliche „Most Favored Nation“-Modell war juristisch umstritten. Die neue Version dürfte bei Arzneimittelherstellern auf noch stärkeren Widerstand stoßen, zumal sie auch außerhalb der staatlichen Programme wie Medicare gelten könnte. Damit würde Trump tief in die privatwirtschaftliche Vertragsautonomie eingreifen – ein Schritt, der politisch riskant, aber populistisch wirksam ist. Gerade in Wahlkampfzeiten eignet sich das Thema ideal zur Polarisierung: Trump kann sich als Kämpfer gegen die Pharmaindustrie inszenieren, die in den USA traditionell zu den finanzkräftigsten Lobbygruppen zählt.
Trump greift bei seiner Ankündigung auch rhetorisch zu drastischen Mitteln. Die USA seien bei Medikamentenpreisen seit Jahren benachteiligt worden, erklärte er. Es sei „peinlich“, dass Amerikaner mehr zahlen müssten als Patienten anderswo – obwohl es keine sachliche Begründung dafür gebe. Dieses Ungleichgewicht will Trump nun „sofort“ beenden. Er spricht von Preissenkungen zwischen 30 und 80 Prozent, die durch das Dekret ermöglicht werden sollen – ein Versprechen, das in seiner Pauschalität bisher jede realpolitische Prüfung vermissen lässt.
Die Reaktionen aus dem politischen Lager sind bislang verhalten. Demokraten verweisen darauf, dass Trump in seiner Amtszeit selbst kein wirksames Reformwerk durchgebracht habe. Auch Beobachter sehen in der Ankündigung mehr einen strategischen als einen strukturell durchdachten Vorstoß. Gleichwohl zeigt die Entwicklung: Die Kostenfrage bei verschreibungspflichtigen Medikamenten wird erneut zum Thema des US-Wahlkampfs – und Trumps Versuch, sie populistisch zu besetzen, könnte die Demokraten unter Zugzwang setzen, ihre eigenen Reformpläne entschlossener zu verteidigen.
Donald Trumps jüngste Ankündigung zur Preisregulierung von Medikamenten ist nicht neu – aber sie ist radikaler, zugespitzter und eindeutig kalkulierter als frühere Vorstöße. Der frühere Präsident greift zu einem Mittel, das in der gesundheitspolitischen Debatte der Vereinigten Staaten schon lange als heiliger Gral gilt: globale Preisangleichung zugunsten der amerikanischen Konsumenten. Doch was wie ein Akt der sozialen Gerechtigkeit wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein riskanter Balanceakt zwischen Populismus, Machtdemonstration und juristischem Drahtseilakt.
Trumps Strategie ist durchschaubar: Er identifiziert ein reales Problem – überhöhte Medikamentenpreise – und bietet eine simple Lösung mit maximaler medialer Wirkung. Das Dekret verspricht nicht nur unmittelbare finanzielle Entlastung für Millionen Amerikaner, sondern auch symbolische Genugtuung im internationalen Vergleich. Der ehemalige Präsident positioniert sich damit als Anti-Lobbyist im Kampf gegen die übermächtige Pharmaindustrie – eine Rolle, die im Wahlkampf bestens funktioniert. Doch genau darin liegt das Problem: Das Projekt bleibt politisch motiviert und technisch unzureichend ausdifferenziert.
Denn Trumps Vorstoß ignoriert die wirtschaftliche Realität globalisierter Arzneimittelmärkte. Preise entstehen nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel von Forschungskosten, Zulassungsbedingungen, Marktmacht und politischer Regulierung. Ein Medikament, das in Kanada für 100 Dollar verkauft wird, kostet nicht deshalb so wenig, weil der Markt fairer ist, sondern weil das kanadische Gesundheitssystem gezielt Preise deckelt und dafür andere Kompromisse in Kauf nimmt. Trump hingegen will die Vorteile ausländischer Regulierung übernehmen, ohne deren systemische Voraussetzungen zu schaffen. Das ist ökonomisch naiv und rechtlich hochproblematisch.
Zudem bleibt unklar, wie Trumps Dekret umgesetzt und kontrolliert werden soll. Schon der Versuch, Medicare an internationale Vergleichspreise zu binden, ist juristisch ins Leere gelaufen. Jetzt soll dieselbe Logik auf alle verschreibungspflichtigen Medikamente angewendet werden – ein Schritt, der nicht nur verfassungsrechtlich zweifelhaft, sondern auch praktisch schwer durchsetzbar ist. Pharmaunternehmen haben längst signalisiert, dass sie notfalls mit Exportstopps, Preisanpassungen oder Klagen reagieren werden. Sollte Trump also tatsächlich durchsetzen, was er verspricht, droht ein internationales Preischaos mit möglicherweise sinkender Arzneimittelverfügbarkeit in Niedrigpreisstaaten.
Gleichzeitig zeigt die Initiative, wie stark das Thema Arzneimittelpreise politisiert ist – und wie sehr die öffentliche Wahrnehmung für einfache Antworten empfänglich bleibt. In den USA – wie auch anderswo – wächst die Ungeduld gegenüber einer Branche, die hohe Gewinne erzielt, aber soziale Verantwortung zunehmend auslagert. Trump nutzt dieses Momentum, nicht um eine nachhaltige Lösung anzubieten, sondern um Wahlkampf in eigener Sache zu betreiben.
Am Ende bleibt Trumps Dekret ein politisches Signal mit begrenzter Umsetzbarkeit. Es erzeugt Aufmerksamkeit, Druck und Erwartung – aber keine tragfähige Strukturreform. Wer wirklich eine gerechtere Preisgestaltung in der Pharmabranche will, muss international kooperieren, regulatorische Standards angleichen und vor allem nationale Finanzierungssysteme grundlegend neu ausrichten. Trumps Dekret tut all das nicht. Es bleibt ein lauter, aber letztlich leerer Paukenschlag – geeignet für Schlagzeilen, ungeeignet für Strukturwandel.
Bas soll SPD führen, Esken kündigt Rückzug an
Bärbel Bas soll Co-Vorsitzende der SPD werden, nachdem Saskia Esken überraschend ihren Verzicht erklärt hat
Die SPD steht vor einem personellen Umbruch an ihrer Spitze: Arbeitsministerin Bärbel Bas soll Medienberichten zufolge neue Co-Vorsitzende der Partei werden und damit Saskia Esken ablösen. Esken hatte am Vorabend in einem Interview überraschend erklärt, nicht erneut für das Amt zu kandidieren. Sie wolle, so Esken, „Platz für die Erneuerung“ machen. Mit dieser Ankündigung geht eine jahrelange Phase des stabilen, aber auch vielfach kritisierten Führungsduos Esken und Lars Klingbeil zu Ende. Für Klingbeil selbst steht dem Vernehmen nach eine erneute Kandidatur an.
Die Diskussion um eine Neubesetzung war in der SPD bereits seit Wochen im Hintergrund geführt worden. Nachdem sich Saskia Esken in der personellen Neuaufstellung der Regierung unter Kanzler Friedrich Merz nicht durchsetzen konnte, war ihre Rolle innerhalb der Partei zunehmend fragil geworden. Das Ausbleiben eines Kabinettspostens galt parteiintern als Zeichen schwindender Rückendeckung. In der Folge mehrten sich die Stimmen, die eine personelle Erneuerung auch an der Parteispitze forderten. Dass mit Bärbel Bas nun ausgerechnet die neue Arbeitsministerin als mögliche Nachfolgerin im Gespräch ist, kommt nicht von ungefähr. Bas gilt als pragmatisch, teamfähig und ist in der Partei gut vernetzt. Ihre langjährige Erfahrung als Bundestagspräsidentin, gepaart mit ihrer Verankerung im linken Parteiflügel, könnte sie zu einer konsensfähigen Lösung machen.
Während die Partei auf den Parteitag im Juni zusteuert, nehmen die Personalrochaden weiter Gestalt an. Erst vergangene Woche war Matthias Miersch zum neuen Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gewählt worden. Diese Wahl gilt ebenfalls als Ausdruck der Erneuerung, die sich die Partei nach den herben Verlusten bei der Bundestagswahl auf die Fahnen schreibt. Miersch, ein erfahrener Umweltpolitiker, soll die Fraktion wieder strategisch einen und das Verhältnis zur neuen Regierung sortieren. Gleichzeitig muss nun auch der Posten des Generalsekretärs neu vergeben werden. Laut übereinstimmenden Berichten gilt Tim Klüssendorf als Favorit für das Amt. Der 35-jährige Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein konnte bei der letzten Wahl erneut sein Direktmandat in Lübeck verteidigen und wird parteiintern als Vertreter einer jüngeren SPD-Generation gehandelt, die programmatisch wie kommunikativ neue Akzente setzen will.
Mit Bas, Klingbeil, Miersch und Klüssendorf zeichnet sich somit eine Führungsriege ab, die auf einen behutsamen Generationenwechsel setzt. Gleichzeitig versucht die SPD, innere Konflikte zu befrieden und programmatisch handlungsfähig zu bleiben. Angesichts einer CDU-geführten Bundesregierung und eines wachsenden Drucks von der politischen Mitte wie vom rechten Rand erscheint eine geschlossene Parteispitze dringlicher denn je. Es ist offen, wie stark die Partei ihren Kurs künftig an wirtschafts- und sozialpolitischen Themen orientiert. Bärbel Bas könnte dabei zur Schlüsselfigur werden – nicht nur als neue Co-Vorsitzende, sondern auch als integrative Kraft zwischen Regierungsverantwortung und Parteiprofil.
Die offizielle Entscheidung fällt auf dem Bundesparteitag im Juni. Bis dahin wird intern noch um Details gerungen, doch die Richtung scheint klar: Mit Bas, Klingbeil und Miersch will die SPD personell wie inhaltlich in eine neue Phase aufbrechen. Ob dies gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es der neuen Spitze gelingt, die enttäuschte Basis zurückzugewinnen und die Partei jenseits der Regierungsbank wieder stärker als gestaltende Kraft im politischen Diskurs zu etablieren.
Der Rückzug Saskia Eskens vom SPD-Vorsitz ist kein Paukenschlag, sondern ein längst überfälliger Schritt – und einer, der mehr als Symbolik bedeutet. Ihre Ankündigung, „Platz für die Erneuerung“ zu machen, wirkt aufrichtig und zugleich resignativ. Esken war nie die laute Vorsitzende, aber auch nie die strategische Architektin, die eine Partei in schwierigen Zeiten zusammenführen kann. Ihre Amtszeit stand im Schatten ständiger Rechtfertigungen, mangelnder Profilschärfe und zuletzt auch wachsender innerparteilicher Unruhe. Dass sie nun nicht mehr kandidiert, ist weniger Selbstaufgabe als ein stiller Hinweis darauf, dass Macht in der SPD auch dann entgleiten kann, wenn man sie gar nicht wirklich beansprucht.
Mit Bärbel Bas rückt nun eine Figur nach, die auf den ersten Blick unspektakulär erscheint – und gerade darin liegt ihre Stärke. Bas hat als Bundestagspräsidentin bewiesen, dass sie Sachorientierung, Fairness und politische Erfahrung vereint. Sie hat nie polarisiert, war selten laut – aber immer da. Dass die SPD sie nun an die Spitze stellen will, ist weniger Ausdruck visionärer Strategie als das Eingeständnis, dass die Partei dringend eine Figur braucht, die Vertrauen stiftet. Eine, die weder Projektionsfläche für linke Illusionen noch Strohfeuer für sozialdemokratische Nostalgie ist. Sondern schlicht jemand, der die SPD wieder ernsthaft aufstellt.
Das personelle Mosaik, das sich mit Klingbeil, Miersch und Klüssendorf formiert, ist in seiner Balance bemerkenswert. Hier wird nicht mit dem Hammer regiert, sondern mit ruhiger Hand neu geordnet. Doch genau in dieser Ruhe liegt auch die Gefahr. Denn während sich die SPD intern neu sortiert, gehen draußen Wähler verloren – an eine Union, die nun regiert, und an Ränder, die Wut und Weltfremdheit kombinieren. Die neue SPD-Spitze wird sich an ihrer Fähigkeit messen lassen müssen, nicht nur innerparteilich Frieden zu stiften, sondern politisch wieder auf Angriff zu schalten. Wenn Bärbel Bas es gelingt, der Partei ein neues, glaubwürdiges Gesicht zu geben, könnte sie zu mehr werden als zur Übergangsvorsitzenden.
Noch ist aber nichts entschieden. Parteitage bergen immer das Potenzial für Überraschungen – und für Zweifel. Die SPD hat in den vergangenen Jahren viele Erneuerungen versprochen und selten geliefert. Sollte diesmal ausgerechnet eine stille Figur wie Bas den Unterschied machen, wäre das nicht nur ein politischer Glücksfall, sondern auch ein leiser Triumph über den Lärm, den andere Parteien derzeit so laut verbreiten.
Letzter Aufruf zum Pflegevertrag: Abgabe nur mit Beitritt
Ohne Teilnahme am neuen Vertrag verlieren Apotheken das Recht zur Hilfsmittelversorgung
Apotheken in Deutschland stehen erneut unter massivem Zeitdruck: Wer gesetzlich Versicherte auch ab Juni mit zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln beliefern will, muss bis spätestens 15. Mai dem neuen Pflegehilfsmittelvertrag beitreten. Andernfalls erlischt die Lieferberechtigung unwiderruflich. Damit endet ein monatelanger Verhandlungsmarathon zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband, in dem eine Einigung über einen gemeinsamen Vertrag nicht erzielt werden konnte. Stattdessen hat die zuständige Schiedsstelle verbindlich entschieden. Die Folge: Ein bundesweit einheitlicher Versorgungsvertrag wird gegen den Widerstand der Verhandlungspartner in Kraft gesetzt – ohne Übergangsregelung und ohne Möglichkeit zur rückwirkenden Teilnahme.
Apotheken, die diesen Vertrag nicht rechtzeitig unterzeichnen, dürfen ab dem 1. Juni keine Pflegehilfsmittel mehr auf Kassenkosten abgeben. Das betrifft insbesondere Verbrauchshilfsmittel wie Bettschutzeinlagen, Handschuhe oder Desinfektionsmittel. Selbst Apotheken mit bestehenden Einzelverträgen sind nicht automatisch auf der sicheren Seite: Der Beitritt zum neuen Vertrag ist erst nach Kündigung des bisherigen Einzelvertrages möglich. Der GKV-Spitzenverband prüft zentral, ob Apotheken bereits anderweitig vertraglich gebunden sind, und informiert betroffene Betriebe nach Einlesung der Beitrittslisten über einen automatisierten Abbruch ihres Beitrittsverfahrens.
Zentraler Punkt des neuen Vertragswerks ist nicht nur der einheitliche rechtliche Rahmen, sondern auch die Einführung verbindlicher Digitalprozesse. Bereits ab dem 1. Juni müssen Apotheken die Empfangsbestätigungen für Pflegehilfsmittel nicht mehr monatlich an die Kassen übermitteln. Stattdessen verbleiben die Belege in der Apotheke und sind nur noch auf Anforderung vorzulegen – dann allerdings ausschließlich in digitaler Form. Diese Umstellung ist Teil der umfassenden Digitalisierung der Abrechnung, die im Zuge des neuen Vertrags verpflichtend eingeführt wird.
Tatsächlich wird die digitale Abrechnung allerdings nicht sofort technisch durchgesetzt. Die Frist für die verpflichtende elektronische Abrechnung läuft bis zum 1. November. In der Zwischenzeit wird eine schrittweise Umstellung in den Warenwirtschaftssystemen erwartet. Doch schon jetzt ist klar: Die Vorbereitungszeit ist knapp, die Anforderungen komplex. Viele Apotheken müssen interne Prozesse umstellen, IT-Schnittstellen anpassen und Personal schulen – und das unter Einhaltung einer starren Frist, die keine individuellen Spielräume lässt.
Besonders brisant ist die Tatsache, dass Apotheken, die die Frist versäumen, auch bei technischer Bereitschaft nicht nachträglich beitreten dürfen. Das heißt: Kein Spielraum für Nachzügler, keine Kulanzregelungen. In einem Versorgungssystem, das auf Planungssicherheit und Standardisierung setzt, ist das ein harter Bruch mit gewachsenen Strukturen.
Die Entscheidung der Schiedsstelle markiert damit nicht nur das Ende der bisherigen Vertragslandschaft, sondern auch den Beginn einer neuen Phase, in der digitale Standards und Fristtreue die zentrale Rolle spielen. Apotheken, die diesen Schritt nicht mitgehen, verlieren nicht nur Umsatz, sondern auch den Zugang zu einem relevanten Teil des Versorgungsgeschehens.
Die Entscheidung, den neuen Pflegehilfsmittelvertrag ohne Übergangsregelung und mit harter Beitrittsfrist einzuführen, ist in mehrfacher Hinsicht ein Ausdruck des Vertrauensverlustes in freiwillige Branchenlösungen. Dass es dem DAV und dem GKV-Spitzenverband nicht gelungen ist, sich im Rahmen des normalen Verhandlungsverfahrens auf ein neues Vertragswerk zu einigen, spricht Bände – nicht nur über die Komplexität der Materie, sondern auch über das zunehmend konfrontative Verhältnis zwischen Kassen und Berufsvertretung. Wenn eine Schiedsstelle entscheiden muss, wo eigentlich Verständigung gefragt wäre, hat die Selbstverwaltung versagt.
Für Apotheken bedeutet das eine Situation ohne Netz und doppelten Boden. Sie sind gezwungen, innerhalb weniger Tage auf ein System umzustellen, das nicht nur formale Vertragsbedingungen verändert, sondern auch technische Prozesse und interne Arbeitsabläufe neu ordnet. Es geht nicht mehr nur darum, rechtzeitig zu unterschreiben, sondern auch um die Fähigkeit, eine digitale Belegführung einzuführen, neue Softwaremodule zu bedienen und dokumentationssicher mit den Anforderungen der Kassen umzugehen.
Gleichzeitig zeigt sich in dieser Situation auch die wachsende Diskrepanz zwischen Regulierung und Praxis: Der Vertrag setzt Standards, die viele Apotheken in dieser Kürze der Zeit organisatorisch kaum umsetzen können. Die technische Umstellung bis November mag formal eine Entlastung darstellen, real bedeutet sie jedoch eine lange Phase doppelter Belastung – zwischen analogem Altbestand und digitaler Zukunft.
Der Ausschluss rückwirkender Beitrittsmöglichkeiten ist dabei besonders fragwürdig. Er widerspricht nicht nur jeder unternehmerischen Vernunft, sondern gefährdet konkret die Versorgungssicherheit. Denn Apotheken, die sich versehentlich oder aufgrund technischer Unklarheiten nicht rechtzeitig anmelden, verlieren ohne Vorwarnung ihren Status als Versorger – mit allen Folgen für Patienten und Pflegeeinrichtungen.
Dass die Digitalisierung der Pflegehilfsmittelversorgung nötig und richtig ist, steht außer Frage. Aber die Art, wie dieser Wandel nun vollzogen wird, ist kein Fortschritt, sondern ein Zwang zur Anpassung unter Androhung des Marktentzugs. Wer auf Dialog setzt, darf Akteure nicht ohne Übergangsmodell ins Risiko schicken. Gerade die flächendeckende Versorgung mit Verbrauchshilfsmitteln lebt von der kleinteiligen Struktur der Apothekenlandschaft – und nicht von digitalen Ultimaten.
Die Politik wäre gut beraten, hier nachzujustieren: Verträge dieser Tragweite müssen nicht nur inhaltlich tragfähig, sondern auch praktisch umsetzbar sein. Ein starker Apothekenstandort braucht keine weiteren Fristfallen, sondern verlässliche Rahmenbedingungen, die Digitalisierung als Unterstützung – nicht als Ausschlussmechanismus – begreifen.
ME/CFS ist kein Randphänomen mehr, sondern Systemkrise
Fehlende Ausbildung, Medikamente und soziale Anerkennung gefährden Existenzen
Die Zahl der an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) Erkrankten hat sich in Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie nach Angaben von Fachgesellschaften und Experten mehr als verdoppelt. Rund 600.000 Menschen sind betroffen – eine Zahl, die lange Zeit unterschätzt wurde und deren soziale und medizinische Tragweite erst jetzt, durch den Zusammenhang mit Long Covid, ansatzweise ins öffentliche Bewusstsein rückt. Besonders alarmierend ist, dass vor allem junge Menschen betroffen sind, die von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen werden. Die Krankheit ist unheilbar, hochgradig einschränkend und bislang ohne zugelassene medikamentöse Therapie. Die Betroffenen leiden unter einer ausgeprägten und nicht durch Ruhe besser werdenden Erschöpfung, massiven Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen und einer charakteristischen Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Belastung – ein Phänomen, das als „Post-Exertional Malaise“ (PEM) bezeichnet wird und für ME/CFS pathognomonisch ist.
Seit der Pandemie ist klar: Viele derjenigen, die nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion nicht genesen, sondern dauerhaft krank bleiben, erfüllen die Kriterien für ME/CFS. Damit ist ME/CFS gewissermaßen das biologische Rückgrat von Long Covid – die schwerste Form, die bis heute weder systematisch diagnostiziert noch flächendeckend versorgt wird. Professorin Dr. Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue Centrums an der Charité in Berlin, verweist auf den engen Zusammenhang und fordert eine gesundheitspolitische Wende. Auch Professorin Dr. Uta Behrends, die das Fatigue Centrum für junge Menschen an der TU München und der München Klinik Schwabing leitet, betont: Die Betroffenen brauchen eine medizinische Heimat, keine Stigmatisierung.
Die Krankheitsverläufe sind langwierig, viele Patientinnen und Patienten sind über Jahre arbeitsunfähig, einige dauerhaft bettlägerig. Dennoch fehlen spezialisierte Versorgungsstrukturen, interdisziplinäre Therapieangebote und ärztliche Expertise. Im Medizinstudium taucht ME/CFS bislang kaum auf. Hausärzte sind mit der Diagnostik meist überfordert oder ordnen die Symptome psychosomatisch ein. Viele Betroffene berichten von jahrelangen Odysseen durch das Gesundheitssystem, ohne ernst genommen zu werden. Dabei existieren klare Diagnosekriterien, etwa nach den kanadischen oder internationalen Konsenskriterien. Doch selbst diese sind in Deutschland kaum verbreitet, obwohl sie in internationalen Leitlinien längst als Goldstandard gelten.
Anlässlich des internationalen ME/CFS-Tags am 12. Mai findet in Berlin eine zweitägige Fachkonferenz mit über 200 internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Im Mittelpunkt stehen neue Forschungsergebnisse, Versorgungsmodelle, medikamentöse Studienansätze und die strukturellen Defizite in der Patientenbetreuung. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Scheibenbogen und Behrends, die sich seit Jahren um Aufklärung, Forschung und die Verbesserung der Versorgung bemühen. Die Konferenz markiert einen wichtigen Schritt, um nationale und internationale Initiativen zu vernetzen – doch der Handlungsbedarf bleibt gewaltig.
Auch politische Maßnahmen wie die 2023 veröffentlichte S1-Leitlinie, die ME/CFS erstmals umfassend definiert und Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie gibt, haben bislang keine spürbare Verbesserung der Versorgungslage bewirkt. In vielen Regionen fehlen spezialisierte Anlaufstellen. Kliniken, die sich der Krankheit widmen, sind überlaufen und unterfinanziert. Selbst für einfache Dinge wie die Anerkennung eines Pflegegrads oder die Beantragung einer Erwerbsminderungsrente fehlen einheitliche Maßstäbe. Das Ergebnis ist eine systematische Benachteiligung, die die Betroffenen zusätzlich belastet – gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich.
Besonders dramatisch ist die Lage bei Kindern und Jugendlichen. Hier sind kaum spezialisierte Strukturen vorhanden, während die Zahl junger Erkrankter spürbar steigt. Viele verlieren ihre schulische oder berufliche Perspektive, werden sozial isoliert und psychisch destabilisiert – nicht primär durch die Erkrankung selbst, sondern durch die wiederholte Abwertung ihrer Beschwerden im medizinischen Alltag. Dabei belegen Studien, dass eine frühzeitige und symptomorientierte Behandlung das Fortschreiten der Krankheit deutlich verlangsamen kann. Doch in der Praxis fehlen entsprechende Angebote.
Die Versäumnisse der Vergangenheit wirken fort. Bereits vor der Pandemie war ME/CFS keine Seltenheit – doch jahrzehntelang wurde die Krankheit nicht ernst genommen, teilweise sogar bewusst ignoriert. In wissenschaftlichen Publikationen finden sich bis weit ins 21. Jahrhundert hinein Formulierungen, die die Krankheit ins psychosomatische oder psychiatrische Umfeld drängen. Diese Haltung hat bis heute Folgen: In vielen Gutachten, Anträgen und Klinikbefunden fehlt die medizinische Anerkennung von ME/CFS – mit weitreichenden Konsequenzen für die Versorgung, die soziale Absicherung und die Lebensrealität der Betroffenen.
Die Berliner Konferenz macht deutlich: Die wissenschaftliche Welt hat erkannt, dass ME/CFS ein organisches, immunologisches und neurologisches Krankheitsbild ist – doch der Transfer ins Gesundheitssystem bleibt zögerlich. Studien zu Biomarkern, Autoimmunmechanismen und neuroimmunologischen Veränderungen sind im Gange, erste medikamentöse Studien befinden sich in der Rekrutierungsphase. Doch ein zugelassenes Medikament ist nicht in Sicht, ebenso wenig wie ein strukturierter Forschungsplan auf Bundesebene. Was fehlt, ist eine nationale Strategie mit klaren Zielen, finanzieller Ausstattung und institutioneller Verankerung. Solange diese fehlt, bleiben medizinischer Fortschritt und Versorgungsverbesserung ein zähes Ringen einzelner Akteure.
ME/CFS ist kein medizinisches Randphänomen mehr. Die Pandemie hat eine Krankheit, die jahrzehntelang im Schatten stand, mit brutaler Klarheit ins Zentrum gerückt – und offenbart damit ein systemisches Versagen: ein Versagen der medizinischen Ausbildung, der gesundheitspolitischen Steuerung und nicht zuletzt der gesellschaftlichen Empathie. Dass 600.000 Menschen – viele davon jung – an einer schweren, unheilbaren und gesellschaftlich isolierenden Erkrankung leiden, ohne angemessene medizinische Hilfe zu erhalten, ist kein Randproblem. Es ist ein gesundheitspolitischer Skandal mit Ansage.
Die Ignoranz gegenüber ME/CFS hat Tradition. Jahrzehntelang wurde die Erkrankung verharmlost, psychologisiert oder pathologisiert. Patientinnen und Patienten mussten sich gegen Ärzte verteidigen, statt von ihnen unterstützt zu werden. Dass sich diese strukturelle Ignoranz so hartnäckig hält, obwohl inzwischen eine breite wissenschaftliche Evidenz existiert, ist ein Ausdruck institutioneller Trägheit – oder mutwilliger Abwehr. Denn wer eine Krankheit nicht anerkennt, muss auch keine Verantwortung übernehmen.
Doch genau diese Verantwortung ist jetzt überfällig. Die steigende Zahl der Betroffenen, die wissenschaftlich belegten Krankheitsmechanismen, der wachsende ökonomische Schaden durch Erwerbsausfall, Pflegebedürftigkeit und soziale Folgekosten – all das rechtfertigt längst eine nationale Reaktion. ME/CFS ist keine exotische Einzelerkrankung, sondern ein flächendeckendes Versorgungsversagen. Und es betrifft ein Publikum, das kaum Lobby hat: junge Menschen ohne Erwerbseinkommen, oft ohne medizinische Akte, oft ohne Kraft, sich zu wehren.
Die Berliner Konferenz ist ein Hoffnungssignal – aber keine Lösung. Solange sich das Gesundheitssystem weigert, systematisch in Ausbildung, Versorgung und Forschung zu investieren, bleibt ME/CFS ein Krankheitsbild, das im Dazwischen verharrt: zwischen medizinischer Erkenntnis und struktureller Verantwortungslosigkeit. Es ist höchste Zeit, die Krankheit nicht nur als Folgeerscheinung von Long Covid zu begreifen, sondern als eigenständige Herausforderung mit jahrzehntelanger Geschichte und hunderttausenden Stimmen, die endlich gehört werden müssen.
Silber stoppt Keime, fördert Heilung
Warum silberhaltige Wundauflagen bei chronischen Infektionen neue Standards setzen
Silber hat sich in der modernen Wundbehandlung als stiller, aber hochwirksamer Verbündeter etabliert. Besonders bei infizierten oder infektionsgefährdeten Wunden kommen silberbeschichtete Verbände zunehmend zum Einsatz. Sie kombinieren antimikrobielle Wirkung mit zeitgemäßer Verbandstechnologie und ermöglichen eine gezielte therapeutische Intervention, die weit über konventionelle Pflege hinausgeht. In Zeiten wachsender Antibiotikaresistenzen gilt Silber als strategischer Baustein einer nachhaltigen Versorgung. Doch sein Einsatz erfordert fachliche Präzision, um Nutzen und Risiken in ein sinnvolles Gleichgewicht zu bringen.
Die Wirkung des Silbers beruht auf seinen ionisierten Partikeln. Diese Silberionen greifen die Zellmembran von Bakterien an, blockieren Enzyme und stören die Replikation der DNA. Die Folge: eine irreversible Schädigung der Keime. Das Besondere an Silber ist sein breites Wirkungsspektrum – es umfasst auch multiresistente Erreger wie MRSA oder Vancomycin-resistente Enterokokken, gegen die viele Antibiotika wirkungslos sind. Diese Breitenwirkung macht Silber zu einem therapeutischen Mittel mit hohem strategischem Wert – besonders in chronisch kontaminierten oder schlecht heilenden Wunden.
In der Praxis zeigt sich der Vorteil silberhaltiger Verbände besonders deutlich bei Wundbildern wie dem diabetischen Fuß, Dekubitus oder dem offenen Bein. Diese Wunden sind häufig durch eine hohe Keimbelastung geprägt, die das physiologische Heilungsgeschehen stört. Hier kann Silber helfen, die bakterielle Last zu reduzieren, was wiederum die Entzündungszeichen mildert und die körpereigenen Reparaturmechanismen aktiviert. Studien belegen, dass silberbeschichtete Materialien die Granulation und Epithelisierung fördern – ein entscheidender Fortschritt gerade bei stagnierenden Heilungsverläufen.
Ein weiterer Aspekt ist die Reduktion unangenehmer Gerüche, wie sie oft bei chronischen Wunden auftreten. Die Zersetzung durch Bakterien produziert flüchtige Substanzen, die nicht nur den Patienten belasten, sondern auch das Pflegepersonal und Angehörige vor Herausforderungen stellen. Silber, das diese Bakterien gezielt bekämpft, kann solche Gerüche deutlich verringern – ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Lebensqualität der Betroffenen.
Auch aus pflegerischer Sicht bieten silberhaltige Verbände Vorteile. Viele dieser Produkte zeichnen sich durch eine verlängerte Wirkdauer von bis zu sieben Tagen aus. Dadurch können Verbandwechsel reduziert werden, was nicht nur das Wundbett schont, sondern auch Schmerzen und Materialverbrauch verringert. In einer Zeit, in der Pflegekräfte unter chronischem Zeitdruck stehen, ist das ein logistischer Vorteil, der zusätzlich die Wirtschaftlichkeit der Versorgung stärkt.
Dennoch gilt: Der Einsatz silberhaltiger Verbände muss kritisch indiziert sein. Sie sind kein Allheilmittel und auch nicht für jede Wunde geeignet. Bei sauberen, heilenden Läsionen ist der Einsatz nicht angezeigt, da Silber in hohen Konzentrationen auch zytotoxisch wirken kann. Es hemmt dann nicht nur Keime, sondern auch gesunde Zellen – ein Risiko, das durch unkritische Anwendung erhöht wird. Daher ist eine genaue Indikationsstellung durch medizinisches Fachpersonal unerlässlich.
Die richtige Anwendung beginnt mit der sorgfältigen Wundreinigung. Beläge und Nekrosen müssen entfernt werden, um die Wirkung des Silbers nicht zu blockieren. Auch sollten silberhaltige Produkte nicht willkürlich kombiniert werden – etwa mit jodhaltigen Salben oder bestimmten Hydrokolloidauflagen, da chemische Wechselwirkungen auftreten können. Bei Unsicherheiten ist die Rücksprache mit Herstellern oder erfahrenen Wundtherapeuten unerlässlich.
Ein weiteres Kriterium ist die zeitliche Begrenzung. Silberverbände sollten nicht dauerhaft eingesetzt werden. Spätestens nach zwei Wochen muss die Therapie überprüft und angepasst werden. Bleibt die Wunde unverändert oder zeigt sich keine Besserung, ist eine Reevaluation notwendig. Ziel ist immer eine individuelle, am Heilungsverlauf orientierte Versorgung – nicht ein starres Festhalten an Materialien, die im konkreten Fall keine Wirkung entfalten.
Die moderne Wundversorgung profitiert vom Potenzial antimikrobieller Materialien – Silber spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle. Doch wie bei jeder wirksamen Substanz gilt: Der therapeutische Effekt hängt maßgeblich vom sachkundigen Umgang ab. Nur wenn Fachwissen, Anwendungskompetenz und Indikationsschärfe zusammenkommen, entfaltet Silber seine heilende Kraft – im Dienst einer Versorgung, die Infektionen nicht nur bekämpft, sondern verhindert.
Die Renaissance des Silbers in der Wundversorgung ist mehr als ein modischer Rückgriff auf historische Heilmittel – sie ist eine fachlich begründete Antwort auf wachsende therapeutische Lücken. Während klassische Antibiotika zunehmend an Wirkungskraft verlieren, eröffnet die lokale antimikrobielle Therapie mit Silber neue Spielräume, die sowohl medizinisch als auch pflegerisch überzeugen. Doch sie ist kein Automatismus, sondern verlangt eine Rückkehr zu klinischer Urteilskraft und therapeutischer Maßhaltung.
Silber wirkt – daran besteht kein Zweifel. Aber es wirkt nur dann zielgerichtet und sicher, wenn seine Anwendung durchdacht erfolgt. Der reflexhafte Griff zu silberhaltigen Verbänden bei jeder chronischen Wunde ist ebenso falsch wie die pauschale Ablehnung aufgrund möglicher zelltoxischer Effekte. Vielmehr braucht es eine Balance zwischen klinischer Notwendigkeit und therapeutischer Sorgfalt. Wer Silber einsetzt, muss wissen, was er tut – andernfalls schadet man mehr als man nutzt.
Besorgniserregend ist, dass viele Anwender die chemisch-physikalischen Eigenschaften von Silber kaum noch reflektieren. Die Interaktionen mit anderen Wirkstoffen, die Gefahr der Anreicherung bei großflächigem Einsatz oder die Möglichkeit von Allergien werden selten thematisiert. In Fortbildungen dominieren Anwendungsvideos und Produktpräsentationen, während die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wirkung, Kinetik und Grenzen oft zu kurz kommt. Genau hier liegt ein strukturelles Problem: Die Therapiekompetenz verengt sich auf Handlungsroutinen, wo eigentlich analytische Reflexion gefordert wäre.
Es ist höchste Zeit, die antimikrobielle Wundversorgung wieder stärker in die Hände qualifizierter Fachkräfte zu legen – mit klarer Indikation, definierter Zielstellung und kritischer Erfolgskontrolle. Silber ist kein Pflegehelfer, sondern ein pharmakologisch wirksamer Bestandteil einer gezielten Therapie. Seine Stärke liegt nicht in seiner Präsenz, sondern in seiner Präzision. Wer das versteht, nutzt seine Vorteile. Wer es ignoriert, riskiert Therapieversagen.
Die Debatte um den gezielten Einsatz silberhaltiger Materialien spiegelt eine viel größere Herausforderung im Gesundheitssystem wider: den Umgang mit begrenzten Ressourcen bei gleichzeitig wachsendem therapeutischem Anspruch. In dieser Gemengelage wird Silber zum Symbol einer Medizin, die auf wissenschaftlicher Evidenz statt auf Gewohnheit basiert – und die den Mut hat, auch Altbewährtes neu zu denken.
Reisewarnung für Schwangere statt Geburtsstation
Die dramatische Versorgungslage auf Sylt bringt werdende Mütter in Lebensgefahr
Die Geburt eines Kindes gilt als einer der intimsten, verletzlichsten und zugleich gefährlichsten Momente im Leben einer Frau. Umso erschütternder ist der Zustand der geburtshilflichen Versorgung auf Deutschlands beliebtester Ferieninsel Sylt. Seit über einem Jahrzehnt gibt es hier keine Geburtsstation mehr, seit Sommer 2024 fehlt nun auch die gynäkologische Notfallbereitschaft. Für schwangere Frauen bedeutet das: Kein Kaiserschnitt, kein Kreißsaal, keine Notfallversorgung. Im Falle schwerer Komplikationen bleibt nur der Transport per Hubschrauber oder Seenotrettung – wenn denn einer verfügbar ist.
Diese Situation ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer langjährigen strukturellen Vernachlässigung. Schleswig-Holstein hat binnen weniger Jahre einen dramatischen Rückgang der Geburtshilfe erlebt. Laut Landesgesundheitsministerium sank die Zahl der Entbindungskliniken von 18 im Jahr 2022 auf nur noch 15. Seit 2000 hat sich die Zahl der Versorgungsorte halbiert. Besonders gravierend trifft diese Entwicklung die nordfriesischen Inseln. Sylt, Föhr und andere Regionen wurden systematisch von der Geburtshilfe abgehängt.
Dass Schwangere ausgerechnet im Notfall ausgeflogen werden müssen, verdeutlicht die Tragik. Was andernorts als medizinischer Normalfall gilt, ist auf Sylt nur mit logistischem Kraftakt und gefährlichen Verzögerungen möglich. Geburt im Rettungswagen, auf einem Seenotrettungskreuzer oder in den Händen einer Hebamme unter Extrembedingungen – all das ist Realität auf der Insel. Die Zahlen solcher Zwischenfälle werden nicht systematisch erfasst, die Dunkelziffer ist hoch. Für viele Frauen bedeutet das einen Zustand permanenter Angst vor dem Ernstfall.
Verantwortlich für die Misere ist ein Zusammenspiel aus politischen Fehlanreizen, ökonomischem Druck und dem Mangel an Fachpersonal. Trotz Förderprogrammen und Ausbauversprechen bleiben viele Kreißsäle auf dem Festland überlastet, während auf den Inseln jede Versorgung kollabiert. Der Rückzug der zwei letzten gynäkologischen Bereitschaftsärzte auf Sylt war nur der letzte Dominostein in einer Entwicklung, die längst hätte gestoppt werden müssen. Die Versorgung am Wochenende oder bei Komplikationen ist nun faktisch nicht mehr vorhanden.
Um der wachsenden Kritik zu begegnen, hat das Land sogenannte Boarding-Angebote geschaffen. Schwangere sollen eine Woche vor dem Geburtstermin in Kliniken auf dem Festland einchecken – mit Partnern, Kindern und Gepäck. Das Diako-Krankenhaus in Flensburg bietet sogar Kinderbetreuung während des stationären Aufenthalts an. Doch dieser Vorschlag, der auf den ersten Blick praktikabel erscheinen mag, ist in Wahrheit ein Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge. Der Normalfall wird zum Ausnahmezustand erklärt.
Als Notlösung wurde ein Hebammen-Notruf installiert. Vier Hebammen, nur eine davon auf der Insel wohnhaft, sind rund um die Uhr erreichbar. Die anderen kommen wochenweise aus anderen Bundesländern nach Sylt. Sie übernehmen keine geplanten Entbindungen, sondern reagieren auf akute Notfälle – soweit das möglich ist. Inzwischen fordern Hebammenverbände ein grundlegendes Umdenken. Nicht jede Geburt muss im OP stattfinden, sagen sie. Aber jede Frau hat ein Anrecht auf Sicherheit – und auf eine echte Wahl. Die Realität auf Sylt jedoch lässt keine Wahl mehr zu.
Anke Bertram, ehemalige Inselhebamme und heutige Vorsitzende des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein, bringt die Lage auf den Punkt: „Die Frauen laufen hier ins offene Messer.“ Ihre Forderung: eine Inselversorgung, die dem Leben nicht ausweicht, sondern es möglich macht. Doch statt praktikabler Lösungen regiert das Wegsehen. Und so verwandelt sich Sylt, das Urlaubsziel der Wohlhabenden, für Schwangere zunehmend in eine gefährliche Zone – eine Insel ohne Geborgenheit im entscheidenden Moment.
Wenn eine Insel, auf der sich Prominente und Vermögende zur Erholung niederlassen, zur geburtshilflichen Wüste wird, dann offenbart sich ein Skandal, der weit über die Region hinausweist. Sylt ist kein strukturschwaches Randgebiet. Es ist eine infrastrukturell angebundene, wirtschaftlich potente Region. Wenn selbst hier die Geburtshilfe kollabiert, was bedeutet das für ländlichere Gebiete mit noch geringerer Sichtbarkeit?
Die Politik hat sich über Jahre hinweg an ökonomischen Maßstäben orientiert, die mit der Realität menschlicher Bedürfnisse wenig zu tun haben. Geburtshilfe ist teuer, personalintensiv, haftungsanfällig. Sie wirft keine Renditen ab, sondern erfordert Verantwortung. Genau das aber scheint im deutschen Gesundheitswesen zunehmend Mangelware zu sein. Die Reduktion der Kreißsaalversorgung auf Boarding-Angebote entlarvt das politische Denken: Wer eine Woche vor Termin nicht auf das Festland übersiedelt, gefährdet sich selbst – und hat im Zweifel eben Pech gehabt. Die Verantwortung wird an die Frauen delegiert.
Dabei ist längst bekannt, dass geburtshilfliche Unterversorgung nicht nur mit Risiken für Mutter und Kind einhergeht, sondern auch mit sozialen und psychischen Belastungen. Die Entwurzelung aus dem gewohnten Umfeld, die Trennung von Familie, die Angst vor dem Notfall – das alles sind keine Randphänomene, sondern Erfahrungen, die sich tief einschreiben. Wer Schwangere systematisch aus ihrer Umgebung vertreibt, beraubt sie ihrer Autonomie und untergräbt das Vertrauen in die Versorgung.
Es sind nicht nur fehlende Gynäkologen, die das Problem verursachen, sondern fehlende politische Prioritäten. Die Versorgung auf Sylt wurde nicht durch höhere Gewalt unmöglich gemacht, sondern durch politische Entscheidungen, unterlassene Investitionen und mutwillig in Kauf genommene Engpässe. Man hätte handeln können, als die erste Geburtsstation schloss. Man hätte anreizen, fördern, stützen können. Stattdessen wurde das Problem verwaltet – bis zum völligen Versorgungsausfall.
Dass ein Hebammen-Notruf jetzt als Fortschritt gilt, ist bezeichnend für die Schieflage. Die Notfallversorgung durch Hebammen in akuten Lagen ist eine Krücke, kein Konzept. Sie kann den systemischen Mangel nicht auffangen. Was fehlt, ist eine Geburtshilfe, die den Namen verdient. Eine Geburt ist kein logistisch planbares Event, sondern ein individueller, nicht planbarer Prozess. Wer das ignoriert, gefährdet Menschenleben – und zwar wissentlich.
Die Forderung nach einer Reisewarnung für Schwangere ist deshalb kein zynischer Witz, sondern eine bittere Wahrheit. Die Insel hat sich aus der Verantwortung verabschiedet – und mit ihr ein Gesundheitswesen, das sich selbst als modern und leistungsfähig versteht. Die Frauen auf Sylt brauchen keine Boardingpläne, sondern Geborgenheit. Sie brauchen Versorgung, die nicht nur im Notfall greift. Und sie brauchen eine Politik, die Leben nicht ausfliegt, sondern ermöglicht. Was hier passiert, ist ein gesellschaftlicher Offenbarungseid. Man kann nur hoffen, dass dieser Skandal nicht erst dann ernst genommen wird, wenn der nächste Notfall nicht mehr glimpflich endet.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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