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  • 10.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Rx-Krise, Sicherheitsrisiken und Honorardebatte bringen Apotheken unter Druck
    10.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Rx-Krise, Sicherheitsrisiken und Honorardebatte bringen Apotheken unter Druck
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Ein gestaffeltes Fixhonorar könnte Landapotheken gezielter entlasten als pauschale Förderungen. Apotheker schlagen ein alternatives Verg...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Rx-Krise, Sicherheitsrisiken und Honorardebatte bringen Apotheken unter Druck

 

Sinkende Packungszahlen, Warnungen zu Finasterid und Streit um Fördermodelle belasten die Branche

Die Diskussion um die optimale Unterstützung von Landapotheken nimmt Fahrt auf, während die Bundesregierung weiterhin auf pauschale Fördermodelle setzt, bringen Vertreter der Apothekerschaft alternative Vorschläge ein. Auf dem Bayerischen Apothekertag plädierten führende Standesvertreter für ein gestaffeltes Fixhonorar für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Konkret sieht der Vorschlag vor, das Fixhonorar für die ersten 20.000 abgegebenen Rx-Packungen pro Jahr und Apotheke deutlich zu erhöhen. Dieser Ansatz soll die Grundversorgung breitenwirksamer stärken und zugleich die bürokratischen Hürden regional begrenzter Zuschussmodelle vermeiden. Der wirtschaftliche Druck auf Apotheken wächst, da die Zahl der abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel zuletzt spürbar zurückging. Besonders auffällig war ein deutlicher Einbruch in einer kalendertechnisch neutralen Woche im April, der als möglicher Trendbruch gewertet wird. Solche Entwicklungen gefährden die Stabilität vieler Apotheken, insbesondere in strukturschwachen Regionen. Ein gestaffeltes Fixhonorar könnte gezielt helfen, die wirtschaftliche Basis dieser Betriebe zu sichern und die wohnortnahe Versorgung dauerhaft zu gewährleisten.

 

Glosse: Kanzler wider Willen

Wie Lauterbach sich das Gesundheitsministerium einfach nicht abnehmen ließ

Es gibt politische Träume, die sollte man sich lieber abschminken. Andere wiederum sind so lebhaft, dass sie selbst einen Wahltag in ein kafkaeskes Kammerspiel verwandeln. So geschehen im Hohen Haus der Berliner Republik, wo ein Mann mit Brille, FFP2-Erfahrung und unermüdlichem Mitteilungsbedürfnis einen Plan verfolgte, den selbst Drehbuchautoren von House of Cards nicht besser komponiert hätten. Der Plan hieß: Minister bleiben. Der Name: Karl L.

Während Friedrich M., Kanzlerkandidat mit Stallgeruch und Disziplin, endlich am Ziel seiner langatmigen Karriere zu sein schien, überkam ihn im ersten Wahlgang ein Debakel historischen Ausmaßes. Die Stimmen fehlten. Die Miene war steinern. Die Parteifreunde trösteten mit mörderischer Höflichkeit. Und irgendwo zwischen namentlicher Aufrufung und stiller Empörung muss er gespürt haben, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht, weil ein gewisser Gesundheitsexperte in der Kantine lässig seinen Tee umrührte.

Was dann folgte, war kein Coup, sondern eine chirurgisch-präzise Platzsicherung. Lauterbach, der Mann mit dem besten Übungsprogramm für den Ernstfall, lieferte im Hintergrund eine Vorstellung ab, die zwischen Räson und Rache changierte. Man munkelte, sein langjähriger Adlatus habe mehr Strippen gezogen als ein ganzer SPD-Ortsverein. Und tatsächlich, als Friedrich dann doch noch im zweiten Wahlgang das Amt erlangte, da saß Lauterbach schon bereit. Auf dem Sessel, den eigentlich eine Unionsfrau wärmen sollte. Und lächelte.

Die Koalition, ein Kartenhaus auf Zeit, wurde in diesem Moment zur Therapiesitzung. Was viele für ein kurzes Hickhack hielten, war in Wahrheit ein politischer Erpressungsklassiker. Der Kanzler bekam sein Amt, Lauterbach behielt seins, und irgendwo im Berliner Regierungsviertel überlegte jemand, ob Loyalität nicht eigentlich eine Kinderkrankheit ist. Dass der SPD-Gesundheitsexperte später doch noch zurücktrat, war reine Kosmetik. Der Muskel wurde gezeigt, der Wille demonstriert

  

Fixum statt Fördertopf

Ein höheres Honorar für die ersten Packungen könnte Landapotheken wirksamer stützen als pauschale Zuschüsse

Während die Bundesregierung weiterhin an einem pauschalen Fördermodell für Landapotheken festhält, regt sich in der Apothekerschaft zunehmend Widerstand. Auf dem Bayerischen Apothekertag brachten Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands, und Geschäftsführer Sebastian Schwintek einen alternativen Vorschlag in die Diskussion ein: Statt einer regional begrenzten Landapotheken-Förderung solle das Fixhonorar für verschreibungspflichtige Arzneimittel gestaffelt werden – mit einem deutlich erhöhten Fixum für die ersten 20.000 abgegebenen Rx-Packungen pro Jahr und Apotheke. Dieser Ansatz ziele auf eine breitenwirksamere Stärkung der Grundversorgung ab und vermeide die bürokratische und politische Unschärfe regionaler Zuschussmodelle.

Der Vorschlag folgt einer fundamentalen Systemkritik: Die derzeit diskutierte Landapotheken-Förderung werde vielen bedürftigen Betrieben gar nicht helfen, da die Definition „ländlich“ zu eng gefasst sei und die Antragsverfahren administrativ aufwendig blieben. Stattdessen, so die Argumentation von Hubmann und Schwintek, solle die Honorierung am tatsächlichen Versorgungsauftrag ansetzen – also dort, wo Apotheken unabhängig von Standort und Struktur mit ihrer täglichen Abgabeleistung die flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherstellen. Ein gestaffeltes Fixum würde insbesondere kleineren und mittleren Betrieben zugutekommen, die bislang unterdurchschnittliche Packungszahlen aufweisen, aber gleichzeitig eine zentrale Rolle im lokalen Gesundheitssystem spielen.

Auf dem Bayerischen Apothekertag wurde dieser Vorschlag nicht als technisches Detail, sondern als grundsätzlicher Richtungswechsel präsentiert. Das Modell hätte zur Folge, dass Apotheken mit niedrigem Packungsaufkommen ein höheres Grundhonorar pro abgegebener Packung erhalten – ein gezielter Anreiz für wirtschaftlich schwächere Betriebe, der insbesondere strukturell benachteiligte Regionen absichern könnte. Erst nach Überschreiten der 20.000er-Marke würde das Fixum auf das reguläre Niveau zurückfallen, um gleichzeitig keine Fehlanreize für rein volumengetriebenes Wachstum zu setzen.

Diese Form der Staffelvergütung würde nicht nur kleinere Apotheken stützen, sondern laut den Initiatoren auch neue Maßstäbe für Transparenz und Gleichbehandlung im Apothekenhonorarsystem setzen. Anstatt regionaler Einzelfallförderungen, die auf politischem Verhandlungsgeschick oder bürokratischer Definitionsmacht beruhen, würde ein gestaffeltes Fixum alle Apotheken nach dem gleichen Prinzip behandeln: Leistung wird dort honoriert, wo sie zur Grundversorgung beiträgt.

Ob sich dieser Vorschlag gegen die bislang von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach favorisierte Landapothekenhilfe durchsetzen kann, bleibt jedoch offen. Die Debatte um die Apothekenvergütung ist durch den Koalitionsvertrag zwar neu entfacht worden, konkrete Umsetzungsschritte lassen jedoch weiterhin auf sich warten. Während sich das Bundeswirtschaftsministerium unter CDU-Führung derzeit mit dem Bundesgesundheitsministerium über Details der Fixum-Erhöhung abstimmt, dürfte der Vorschlag aus Bayern neuen Druck aufbauen.

Viele Apothekerinnen und Apotheker, insbesondere im ländlichen Raum, sehen in dem neuen Modell eine realistische und gerechte Option. Denn sie kennen die Schwächen des bestehenden Systems aus der Praxis: Apotheken mit wenigen Rezepten, aber großem Einsatz, fallen oft durchs Raster. Ein höheres Anfangsfixum würde genau diese Versorgungseinheiten in ihrer Basisfunktion absichern – und damit einen Systemwechsel markieren, der über bloße Zuschüsse hinausgeht.

Der Vorschlag, das Fixhonorar für die ersten 20.000 Rx-Packungen pro Apotheke deutlich zu erhöhen, hat das Potenzial, die Debatte um die Apothekenhonorierung grundlegend zu verschieben. Während sich Politik und Standesvertretungen seit Jahren mit unklaren Definitionen von „Landapotheke“, Fördergrenzen und Bonusprogrammen herumschlagen, bringt dieser Ansatz etwas zurück, das im deutschen Gesundheitssystem oft fehlt: Systemlogik.

Anstelle einer politisch konstruierten Förderung einzelner Regionen, deren Bedürftigkeit oft auf Karte statt auf Realität basiert, setzt das gestaffelte Fixum auf eine einheitliche und nachvollziehbare Honorierungsform. Jeder Betrieb – unabhängig von Postleitzahl oder Förderkulisse – würde durch das höhere Anfangshonorar in seiner Grundfunktion gestärkt. Damit entsteht ein leistungsbezogenes Gleichgewicht, das nicht auf Gnade, sondern auf Struktur setzt. Apotheken mit kleinem Packungsvolumen, die sich dennoch Tag für Tag der Patientenversorgung stellen, würden so endlich angemessen berücksichtigt.

Gleichzeitig zeigt sich in diesem Vorschlag eine stille Abrechnung mit der bisherigen Förderpolitik: Zu kleinteilig, zu bürokratisch, zu undurchsichtig – und am Ende oft wirkungslos. Dass selbst wirtschaftlich gefährdete Betriebe in mittelgroßen Städten keine Hilfen erhalten, weil sie außerhalb der ländlichen Definitionen liegen, ist ein Systemfehler, der weder die Versorgungssicherheit noch die Realität der Apothekenlandschaft abbildet.

Ein gestaffeltes Fixum könnte diesem Missstand abhelfen. Es wäre nicht nur einfacher umsetzbar, sondern auch dauerhaft gerechter, weil es keine politischen Gunstzonen schafft, sondern betriebliche Realität anerkennt. Damit träfe die Förderung genau jene Apotheken, die unterhalb der wirtschaftlichen Belastungsgrenze operieren, aber durch ihre Präsenz die wohnortnahe Arzneimittelversorgung sichern – und genau das ist es, was die Gesellschaft derzeit braucht.

Dass dieser Vorschlag ausgerechnet aus Bayern kommt, ist kein Zufall. Die dortigen Apothekerverbände gehören zu den wenigen, die nicht nur lautstark protestieren, sondern auch konkrete Reformansätze vorlegen. Während auf Bundesebene viele Debatten in Symbolpolitik verharren, liefern Hubmann und Schwintek einen praktikablen und systemisch durchdachten Beitrag zur Reform der Apothekenvergütung.

Sollte sich dieser Ansatz durchsetzen, könnte er sogar zur Blaupause für eine künftige Reform der Gesamtvergütung werden – etwa in Kombination mit strukturellen Leistungen oder digitalisierungsbezogenen Zusatzhonoraren. Die Apothekenlandschaft wäre damit nicht nur gerechter finanziert, sondern endlich auch resilienter aufgestellt.

  

Rx-Rückgang mit Sprengkraft für Vor-Ort-Apotheken

Ein unerwarteter Absatzeinbruch stellt die wirtschaftliche Basis infrage

Der Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist im April 2025 erstmals seit Langem spürbar zurückgegangen. Wie aus den aktuellen Daten des Apothekenpanels von Insight Health hervorgeht, lagen die kumulierten Rx-Abgaben der Vor-Ort-Apotheken bis zur 17. Kalenderwoche um 1,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau. In einem Markt, der stark über die abgegebenen Packungsmengen definiert wird, ist dies ein deutliches Warnsignal. Besonders relevant ist dabei die 15. Kalenderwoche, die als einzige Woche im April nicht durch Feiertage verzerrt war. In diesem Zeitraum sank der Rx-Absatz um 3,1 Prozent – ein Rückgang, der als valide und damit potenziell trendsetzend gilt.

Die Wochenbetrachtung im Frühjahr ist traditionell schwierig, da Osterfeiertage in wechselnden Wochen liegen und Vergleichswerte verzerren. 2025 fielen Karfreitag und Ostermontag auf die 16. und 17. Woche, wodurch die 14. Woche mit einem überhöhten Erwartungswert versehen war. Doch selbst diese Sondereffekte können den Abwärtstrend nicht entkräften. Während die ersten drei Monate des Jahres noch keine klare Richtung zeigten, markiert der April nun eine potenzielle Trendumkehr. Die Sorge der Apotheken ist nachvollziehbar: Die Fixvergütung im Rx-Bereich macht den Rohertrag der Betriebe wesentlich abhängig vom Absatz. Ein Rückgang in der Menge führt trotz eventuell höherer Preise direkt zu wirtschaftlichen Belastungen.

Denn auch wenn der Umsatz mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im April erneut gestiegen ist – in der 15. Woche um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, kumuliert um 4,2 Prozent – ist dieser Zuwachs nur vordergründig positiv. Er basiert auf dem anhaltenden Trend zu Hochpreisarzneimitteln, die das Risiko- und Vorfinanzierungsprofil der Apotheken erheblich verschärfen. Die Umsatzsteigerung wird somit nicht durch ein gesundes Mengenwachstum getragen, sondern durch strukturelle Lasten. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 liegt der kumulierte Rx-Absatz bis Ende der 17. Woche zwar 6,8 Prozent im Plus, doch auf sechs Jahre verteilt ist auch das kein überzeugender Wachstumsbeleg.

Einen unerwartet positiven Impuls sendete dagegen der OTC-Bereich. In der unverzerrten 15. Woche setzten die Apotheken 4,2 Prozent mehr Packungen rezeptfreier Arzneimittel ab als im Vorjahr. Über die vier betrachteten Aprilwochen hinweg ergibt sich ein kumulierter Anstieg von 1,9 Prozent beim Absatz, beim Umsatz sogar von 4,3 Prozent. Die Preisdynamik erklärt hier den stärkeren Umsatzanstieg – der Aufschlag dürfte inflationsbedingt sein. Dass der lange schwache OTC-Markt überhaupt wieder Wachstumszeichen sendet, ist für die Branche ein kleiner Lichtblick, auch wenn der Abstand zum Vorkrisenniveau bestehen bleibt: Im Vergleich zu 2019 liegt der OTC-Absatz weiterhin 7,4 Prozent im Minus, der Umsatz 11,1 Prozent im Plus – angesichts der Preissteigerungen seit 2019 eine eher schwache Bilanz.

Die März-Zahlen aus den Abrechnungsdaten der Rechenzentren untermauern dieses Bild. Zwar liegt der Umsatz bei 7,113 Milliarden Euro und damit um 4,3 Prozent über dem Februar, doch der Absatz ist mit 143 Millionen Einheiten leicht rückläufig. Die unterschiedliche Zahl an Arbeitstagen erklärt einen Teil der Differenz, ebenso wie ein etwas höherer GKV-Anteil, der zulasten von Freiwahl und Selbstmedikation ging. Dennoch bleibt das entscheidende Signal das des Aprils: Der Rx-Absatz ist spürbar rückläufig – und das unter vergleichbaren Bedingungen. In einer Branche, deren wirtschaftliche Stabilität an der Packungsmenge hängt, ist dies ein Frühindikator mit Sprengkraft.

Die Zahlen sprechen eine unmissverständliche Sprache: Der April bringt ein Warnsignal, das niemand in der Apothekerschaft ignorieren kann. Ein Rückgang des Rx-Absatzes um 1,5 Prozent bis einschließlich der 17. Kalenderwoche mag auf den ersten Blick gering erscheinen – doch in einem Markt, in dem die Marge an der Packungsmenge hängt, zählt jedes Zehntel. Die Apothekerinnen und Apotheker finanzieren ihren Betrieb vor allem über das Fixhonorar pro Rx-Packung. Wenn diese Basis schmilzt, wird jede Kalkulation wacklig.

Dass der Umsatz im Rx-Bereich dennoch steigt, ist kein Trost, sondern Teil des Problems. Hochpreisige Arzneimittel verschieben das Umsatzniveau, belasten aber Liquidität und Risikostruktur der Apotheken zunehmend. Der Ertrag pro Packung steigt nicht im gleichen Maße, der Aufwand im Einkauf hingegen schon. Die nominalen Umsatzsteigerungen sind somit trügerisch – es fließt mehr Geld, aber es bleibt nicht mehr hängen.

Gleichzeitig offenbart der OTC-Bereich seine chronische Schwäche. Zwar steigt der Absatz leicht, doch er liegt immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Das begrenzte Wachstum dürfte weniger Ausdruck neuer Stärke sein, sondern vielmehr ein Reflex auf Preissteigerungen und minimale Nachfrageimpulse durch saisonale Effekte. Ein robuster OTC-Bereich könnte theoretisch kompensieren, doch davon ist die Realität weit entfernt.

In der Summe entsteht ein ambivalentes Bild: Die Märkte entwickeln sich gegensätzlich, aber keineswegs stabil. Der Rx-Absatz schrumpft, der OTC-Bereich bleibt schwach, und die Umsätze werden durch Hochpreiser künstlich aufgebläht. Diese Gemengelage macht die Planbarkeit der Apothekenfinanzen zunehmend schwierig. Was fehlt, ist ein gesundes Mengengerüst – denn darauf fußt jede belastbare Ertragsrechnung. Es ist Zeit, genau hinzusehen und die Signale nicht schönzureden. Der April hat gesprochen. Die Branche sollte zuhören.

  

Gezielte Hilfe für systemrelevante Apotheken

Der neue Fördervorschlag für Landapotheken will Versorgung sichern, doch vieles bleibt offen

Die politische Forderung nach einer besseren Unterstützung strukturell benachteiligter Apothekenstandorte begleitet das deutsche Gesundheitswesen seit Jahren. Mit dem neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD erhält das Thema nun erneut eine offizielle Relevanz. Dort wird angekündigt, besonders versorgungsrelevante Apotheken gezielt fördern zu wollen. Doch was als Versprechen beginnt, lässt in seiner jetzigen Form viele Fragen offen. Ein konkreter Vorschlag, wie ein solches Fördermodell in der Praxis aussehen könnte, wird nun zur Diskussion gestellt – mit dem Ziel, die Versorgung in ländlichen und unterversorgten urbanen Regionen langfristig abzusichern.

Im Zentrum der Überlegungen steht die Abkehr vom bisherigen pauschalen System, das mit der bisherigen Landapothekenpauschale wenig gezielte Wirkung entfalten konnte. Stattdessen soll eine neue Förderlogik greifen, die sich an konkreten Versorgungskriterien orientiert: Versorgungslage, Erreichbarkeit, Altersstruktur der Bevölkerung, Entfernung zur nächsten Notdienstapotheke oder Anbindung an ärztliche Grundversorgung. Die Idee: Nur dort, wo tatsächlich eine drohende Versorgungslücke besteht, soll eine gezielte finanzielle Unterstützung erfolgen – nicht als Almosen, sondern als systemische Investition in die Aufrechterhaltung des öffentlichen Gesundheitsauftrags.

Ein solches Fördermodell würde den Begriff der „Funktionsapotheke“ in den Mittelpunkt rücken: Apotheken, deren Fortbestehen für die regionale Arzneimittelversorgung unerlässlich ist, sollen unabhängig von wirtschaftlicher Rentabilität gestützt werden können. Die konkrete Umsetzung eines solchen Modells könnte über eine Kombination aus fester jährlicher Basisförderung und variabler Zusatzfinanzierung erfolgen – gekoppelt an definierte Kriterien wie Nacht- und Notdiensthäufigkeit, Personalbindung in unterversorgten Regionen oder dokumentierte Versorgungsfälle über definierte Mindestschwellen hinaus.

Dabei steht auch die Frage im Raum, ob das Fixhonorar – das sogenannte Apothekenfixum – künftig differenziert nach Versorgungsrelevanz ausgezahlt werden könnte. Denkbar wäre etwa, dass Apotheken mit besonderem Versorgungsauftrag für die ersten 20.000 abgegebenen Rx-Packungen ein erhöhtes Fixum erhalten – unabhängig von ihrer Lage, aber in klarer Verbindung zur Funktion im Versorgungssystem. Dieses Modell würde die Förderung auf die tatsächliche Leistungserbringung ausrichten und Anreize für strukturell gefährdete Apotheken schaffen, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten.

Doch ein solches Modell müsste administrativ sauber hinterlegt und politisch klar legitimiert sein. Es bräuchte eine Versorgungsanalyse in Echtzeit, nachvollziehbare Kriterien, ein zentrales Antrags- und Prüfsystem und rechtssichere Festlegungen zur Förderwürdigkeit. Nur so könnte verhindert werden, dass Mitnahmeeffekte oder politische Einzelfallentscheidungen die Wirksamkeit untergraben.

Auch stellt sich die Frage nach der Finanzierungslogik: Soll die Förderung über Krankenkassenbeiträge, Haushaltsmittel oder ein Sonderfonds erfolgen? Und wie lässt sich die Unabhängigkeit der Apotheken wahren, wenn sie sich verstärkt auf staatliche Zuschüsse stützen müssen?

Trotz dieser offenen Fragen zeigt der Vorschlag eine konkrete Perspektive auf: Weg von pauschalen Zuschlägen, hin zu gezielten Unterstützungsmaßnahmen für Apotheken mit Versorgungsfunktion. Damit könnte die Debatte um die Zukunftsfähigkeit der Apothekenlandschaft neue Fahrt aufnehmen – und einen überfälligen Wandel in der Förderarchitektur anstoßen.

Die Apotheke als wohnortnahe Anlaufstelle für Gesundheitsfragen gerät zunehmend unter wirtschaftlichen Druck – besonders in ländlichen Gebieten. Was früher als selbstverständlich galt, ist heute vielerorts bedroht. Die politische Reaktion darauf blieb bislang fragmentiert, unentschlossen, oft symbolisch. Mit dem neuen Vorschlag für eine gezielte Förderung systemrelevanter Apotheken könnte sich das ändern – sofern der politische Wille zur Umsetzung nicht wieder im Klein-Klein der Ressortabstimmung zerläuft.

Denn der entscheidende Fortschritt des nun diskutierten Modells liegt in seiner Differenzierung. Es macht einen Unterschied, ob eine Apotheke in einem versorgten Ballungszentrum oder einem abgelegenen Mittelgebirge schließt. Diese Realität bildet das bisherige Fördersystem nicht ausreichend ab. Statt pauschaler Zuschläge braucht es eine Versorgungslogik, die reale Notwendigkeiten anerkennt – und die Unabhängigkeit von Marktkräften dort sicherstellt, wo die Gesundheitsversorgung ansonsten zusammenbrechen würde.

Der Vorschlag, Funktionsapotheken anhand nachvollziehbarer Kriterien zu definieren und gezielt zu fördern, ist deshalb mehr als eine technische Reform. Er ist ein Bekenntnis zur Verantwortung des Staates für eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln. Es geht um Daseinsvorsorge – nicht um betriebswirtschaftliche Optimierung.

Gleichzeitig ist der Vorschlag auch ein Appell an die Apotheken selbst: Wer sich fördern lassen will, muss sich messbar ins Versorgungssystem einbringen. Transparenz, Versorgungsdokumentation, Qualitätskriterien – all das sind Voraussetzungen, die Teil eines solchen Modells sein müssten. Der Förderanspruch darf nicht zur Selbstverständlichkeit verkommen, sondern muss Ergebnis echter Leistung und regionaler Relevanz sein.

Politisch aber bleibt zu befürchten, dass genau diese notwendige Klarheit wieder weichgespült wird – durch Ausnahmen, Lobbyinteressen oder fehlende Datengrundlagen. Wenn der Vorschlag scheitert, dann nicht an der Idee, sondern an der politischen Trägheit, ihn konsequent umzusetzen.

Deshalb braucht es jetzt keine weiteren Ankündigungen, sondern konkrete Schritte: ein klar definiertes Fördermodell, gesetzlich verankerte Kriterien, transparente Verfahren. Nur so kann der Anspruch eingelöst werden, die Apothekenlandschaft nicht nur zu retten, sondern strukturell zukunftsfest zu machen.

  

Rite Aid gibt das gesamte Filialnetz auf

Die traditionsreiche US-Kette verabschiedet sich bis Sommer vollständig vom Markt

Die US-Apothekenkette Rite Aid steht vor der vollständigen Abwicklung. Nach jahrelangem Niedergang, ausgelöst durch finanzielle Schieflagen, überzogene Expansionsstrategien und eine massive Welle von Opioid-Klagen, wird das Unternehmen nun offenbar sämtliche verbliebenen Filialen schließen. Aus Gerichtsunterlagen geht hervor, dass der Konzern im Rahmen seines laufenden Insolvenzverfahrens plant, alle verbliebenen Einzelhandelsstandorte bis Mitte 2025 stillzulegen und sich vollständig vom Apothekengeschäft zurückzuziehen. Die Liquidationsmaßnahmen sind bereits angelaufen, Filialen in mehreren Bundesstaaten melden Abverkäufe, erste Schließungsschilder wurden aufgestellt. Damit endet die jahrzehntelange Geschichte eines Konzerns, der einst zu den größten stationären Apothekenketten der Vereinigten Staaten zählte.

Mit dem Antrag auf Gläubigerschutz im Oktober 2023 hatte sich die Rite Aid Corporation offiziell in die Hände der US-Insolvenzgerichte begeben. Vorausgegangen war ein rasanter Abstieg, bei dem das Unternehmen innerhalb weniger Jahre von über 2.000 auf nur noch einige hundert Filialen zusammenschrumpfte. Die Ursachen lagen nicht allein in der Schuldenlast, sondern vor allem in einem gescheiterten Umbauprogramm, das den Wandel zur Gesundheitsplattform mit digitalen Dienstleistungen und neuen Partnerschaften zwar versprach, aber operativ kaum durchdrang. Parallel dazu wuchs der Druck durch E-Commerce-Riesen wie Amazon und spezialisierte Online-Apotheken, während vor Ort steigende Lohnkosten, Rezeptretaxationen und sinkende Margen die Rentabilität weiter aushöhlten.

Besonders einschneidend wirkte sich jedoch die juristische Bedrohungslage aus: Im Zuge der US-weiten juristischen Aufarbeitung der Opioid-Krise war Rite Aid ins Visier zahlreicher Sammelklagen geraten. Der Vorwurf: Das Unternehmen habe durch seine laxen Vergabepraktiken zur Eskalation der Opioid-Epidemie beigetragen. Die Schadenssummen, die sich daraus ergaben, überstiegen schnell die wirtschaftlichen Kapazitäten des Konzerns. Allein diese Klagewelle zwang Rite Aid dazu, umfangreiche Rückstellungen zu bilden und Investitionsprojekte zu stoppen. Die Insolvenzanmeldung war schließlich unausweichlich.

Aktuell strebt Rite Aid laut neuen Gerichtsdokumenten die gerichtliche Genehmigung eines sogenannten „Stalking Horse Sale“ an – also eines strukturierten Verkaufsverfahrens im Eilverfahren. Innerhalb von zwei Wochen sollen bindende Angebote für Teile des Apothekengeschäfts eingeholt und einer gerichtlichen Genehmigung zugeführt werden. Dieser Schritt markiert den Versuch, wenigstens noch Teile des operativen Kerns – etwa Kundenstämme, Rezeptdaten oder regionale Infrastrukturen – zu veräußern, bevor der vollständige Rückzug erfolgt.

Das bedeutet nicht nur das Ende eines prominenten Players im US-Gesundheitswesen, sondern auch eine Zäsur für viele betroffene Regionen. Besonders in ländlichen Gegenden, wo die Dichte an Apotheken ohnehin gering ist, könnten die Schließungen weitreichende Versorgungslücken hinterlassen. Die Präsenz einer stationären Apotheke bedeutet dort häufig nicht nur Arzneimittelversorgung, sondern auch niedrigschwelligen Zugang zu Gesundheitsberatung, Impfungen und Rezeptdienstleistungen. Die flächendeckende Abwicklung von Rite Aid trifft damit nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch zahlreiche Gemeinden – und letztlich die Versorgungsrealität von Millionen Menschen.

Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Filialen durch Übernahmen anderer Anbieter weitergeführt werden, doch angesichts der übergeordneten wirtschaftlichen Lage im Apothekenmarkt erscheint dies höchstens als punktuelle Lösung. Der Apothekenmarkt in den USA steht unter dem Eindruck fortgesetzter Konzentrationsprozesse, wobei kleinere Ketten zunehmend durch Großakteure oder vertikal integrierte Konzerne ersetzt werden. In dieser Struktur gibt es kaum noch Platz für Unternehmen wie Rite Aid, die in ihrem Modell zwischen traditionellen Apotheken und modernen Gesundheitsplattformen gefangen blieben.

Die Schließung aller verbleibenden Filialen wäre somit nicht nur das finale Kapitel in der Geschichte von Rite Aid, sondern auch ein Symptom tieferer struktureller Veränderungen im Apothekenwesen der Vereinigten Staaten. Der Fall Rite Aid steht exemplarisch für den Wandel eines Marktes, der Geschwindigkeit, Skalierung und digitale Kompetenz verlangt – und kein Mitleid mit jenen kennt, die sich zu langsam anpassen.

Die angekündigte Totalschließung von Rite Aid ist mehr als das Ende einer Apothekenkette – sie ist ein Fanal für ein System, das unter dem Druck ökonomischer Verwerfungen, juristischer Altlasten und digitaler Disruption zunehmend fragmentiert. Wer die Entwicklung der vergangenen Jahre aufmerksam verfolgt hat, erkennt darin nicht bloß ein Scheitern im Management, sondern auch die Erosion eines Modells, das lange Zeit als Garant für wohnortnahe Arzneimittelversorgung galt.

Rite Aid war kein Start-up mit überzogenen Wachstumsversprechen, sondern ein gewachsener Bestandteil der US-Gesundheitsinfrastruktur. Die Tatsache, dass selbst ein solch etablierter Player keine Überlebenschance mehr hat, zeigt, wie brutal sich Marktmechanismen entfalten, wenn regulatorischer Schutz fehlt, strukturelle Herausforderungen ignoriert werden und gleichzeitig die gesellschaftliche Erwartungshaltung an Apotheken steigt. Es wäre zu einfach, das Ende allein mit Missmanagement zu erklären. Vielmehr offenbart sich hier ein strukturelles Problem: Die Marktlogik im Gesundheitswesen folgt längst nicht mehr dem Prinzip der Versorgungssicherheit, sondern dem Primat der Kostenminimierung – für Kassen, Versicherer, Investoren.

Besonders dramatisch ist, dass ausgerechnet die ländlichen Regionen die Folgen dieser Entwicklung am stärksten zu spüren bekommen. Während urbane Zentren mit hoher Apothekendichte und alternativen Anbietern relativ resilient sind, wird das Schließen der letzten Filiale in einem County zur konkreten Bedrohung für die medizinische Basisversorgung. Es ist die Rückkehr der Versorgungslücke inmitten einer hypervernetzten Welt. Wer Zugang zur digitalen Plattform hat, bekommt seine Medikamente – wer darauf nicht angewiesen sein will, steht plötzlich ohne Option da.

Hinzu kommt: Der Versuch, das Unternehmen durch ein beschleunigtes Verkaufsverfahren zu retten, illustriert die Orientierung an der Renditelogik. Statt langfristiger Sanierung steht der kurzfristige Exit im Mittelpunkt. Diese Verfahrensweise wird zum Standardinstrument in einem System, das keine Zeit mehr für echte Restrukturierung hat. Damit gerät das gesundheitspolitische Gleichgewicht weiter aus der Balance.

Rite Aid ist nicht das letzte Opfer dieser Dynamik – es ist das prominenteste. Die Frage, die sich daran anschließt, lautet nicht: „Wie konnte das passieren?“, sondern: „Welche Lehren ziehen wir aus dem Kollaps?“ Wer die Antworten nur in Managementhandbüchern sucht, übersieht die strukturelle Krise eines Markts, der sich selbst überholt hat. Gesundheit ist keine Ware. Und Apotheken sind keine beliebigen Ladenlokale.

Wenn wir weiterhin zusehen, wie sich stationäre Versorgungseinrichtungen aus wirtschaftlicher Not verabschieden, wird das Bild einer gesicherten medizinischen Grundversorgung zur Illusion. Rite Aid zeigt, wie schnell dieser Kipppunkt erreicht ist – und wie schwer es wird, ihn zu korrigieren.

  

Finasterid kann Suizidgedanken auslösen

Patienten mit psychischen Symptomen sollen das Präparat sofort absetzen und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen

Finasterid steht erneut im Zentrum einer sicherheitsrelevanten Neubewertung. Der Sicherheitsausschuss PRAC der Europäischen Arzneimittelagentur EMA hat in einer am 8. Mai 2025 veröffentlichten Analyse bestätigt, dass Suizidgedanken als mögliche Nebenwirkung bei der Einnahme von 5-Alpha-Reduktasehemmern wie Finasterid und Dutasterid auftreten können. Besonders betroffen scheint dabei die niedrig dosierte 1-mg-Finasterid-Tablette zu sein, die zur Behandlung von androgenetischer Alopezie eingesetzt wird. Die Europäische Arzneimittelbehörde reagiert nun mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen, während sie gleichzeitig die Zulassung der betroffenen Präparate aufrechterhält.

Ausgangspunkt der Neubewertung war ein Antrag der französischen Arzneimittelaufsicht. Der PRAC analysierte daraufhin sämtliche verfügbaren Daten zu möglichen psychischen Nebenwirkungen der Wirkstoffe Finasterid und Dutasterid. Insgesamt konnten 325 Einzelfälle identifiziert werden, in denen Suizidgedanken entweder wahrscheinlich oder möglicherweise mit der Einnahme der Medikamente in Zusammenhang standen. Davon entfielen 313 Berichte auf Finasterid, 13 auf Dutasterid und eine Meldung auf beide Substanzen gemeinsam. Der überwiegende Teil der Fälle war auf die Einnahme von 1-mg-Tabletten zurückzuführen – also auf die Anwendung zur kosmetisch-ästhetischen Haarbehandlung, nicht auf die urologische Indikation bei benigner Prostatahyperplasie.

Trotz der Zahl an Fallberichten konnte der PRAC aufgrund der Gesamtdauer der Exposition – etwa 270 Millionen Patientenjahre bei Finasterid und rund 80 Millionen bei Dutasterid – keine belastbare Aussage zur Häufigkeit dieser Nebenwirkung treffen. Die Relation zwischen Anzahl der Verdachtsfälle und Gesamtverordnung sei statistisch zu unscharf, um eine validierte Inzidenz ableiten zu können. Die Schwere der berichteten Symptome rechtfertige jedoch die Einleitung präventiver Maßnahmen, um die Anwendungssicherheit für Patienten zu verbessern.

Konkret empfiehlt die EMA künftig eine explizite Warnung in den Packungsbeilagen von Finasterid und Dutasterid. Darüber hinaus soll jeder Packung eine Patienteninformationskarte beigelegt werden, die auf die Möglichkeit psychischer Nebenwirkungen hinweist und auffordert, bei Anzeichen wie Suizidgedanken sofort ärztliche Hilfe zu suchen. Besonders aufmerksam sollen Patienten sein, die bereits unter Stimmungsschwankungen oder sexuellen Funktionsstörungen leiden. Studien zeigen, dass gerade diese Symptome eng mit depressiven Verstimmungen korrelieren können, die im schlimmsten Fall in suizidale Krisen übergehen.

Auch Dutasterid-Nutzer sollen nun stärker sensibilisiert werden, obwohl ein direkter Zusammenhang mit Suizidgedanken in den Daten bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Dennoch veranlasste der PRAC, angesichts des identischen Wirkmechanismus beider Substanzen, eine einheitliche Anpassung der Gebrauchsinformationen. Für das lokal applizierte Finasterid-Spray hingegen sah das Gremium keinen Handlungsbedarf: Hier bestehe laut Auswertung kein Zusammenhang zwischen Anwendung und psychischen Komplikationen.

Ausdrücklich betont die EMA in ihrer Stellungnahme, dass der therapeutische Nutzen der Präparate bei sachgerechter Anwendung weiterhin überwiegt. Weder Finasterid noch Dutasterid werden daher vom Markt genommen. Vielmehr sollen gezielte Maßnahmen helfen, Risikopatienten frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig ärztlich zu betreuen. Das Absetzen der Medikation bei ersten Anzeichen einer psychischen Belastung sei der sicherste Schutz.

Diese Neubewertung trifft vor allem jüngere Männer, die Finasterid aus kosmetischen Gründen einnehmen. Für viele von ihnen stellt Haarausfall eine starke emotionale Belastung dar. Kommt es zusätzlich zu unerwarteten Nebenwirkungen, kann das psychische Gleichgewicht empfindlich gestört werden. Daher richtet sich die neue Strategie nicht nur an Fachärztinnen und Fachärzte, sondern auch an Apothekenpersonal: Sie sollen sensibilisieren, aufklären und im Zweifelsfall zur ärztlichen Rücksprache raten.

Die EMA mahnt zu Umsicht, aber nicht zu Panik. Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten steht im Vordergrund, doch eine pauschale Abkehr von bewährten Arzneimitteln sei ebenso wenig zielführend wie das Ignorieren der Risiken. Die Patientenkarte sei ein Instrument der Aufklärung, nicht der Abschreckung – sie soll helfen, Probleme früh zu erkennen und Fehlentwicklungen zu verhindern.

Damit setzt die EMA ein deutliches Signal: Nebenwirkungen psychischer Natur verdienen dieselbe Aufmerksamkeit wie körperliche Beschwerden. Der Fall Finasterid zeigt, wie eng Körper und Psyche in der Pharmakotherapie miteinander verwoben sind – und dass Arzneimittelsicherheit auch in der Kommunikation beginnt.

Die Entscheidung des PRAC, Suizidgedanken als relevante Nebenwirkung von Finasterid zu benennen, ist überfällig – und zugleich ein sensibles Signal an eine pharmazeutische Kultur, die psychische Nebenwirkungen allzu oft in den Hintergrund drängt. Der Fall Finasterid ist kein Skandal, aber eine Mahnung: Arzneimittelsicherheit ist nicht nur eine Frage pharmakologischer Wirksamkeit, sondern auch psychischer Integrität. Wenn ein Präparat, das für viele Menschen ein kosmetisches Problem lösen soll, plötzlich eine existentielle Krise auslösen kann, braucht es mehr als Beipackzettel – es braucht ein strukturiertes System der Früherkennung und ärztlichen Intervention.

Dass die meisten der gemeldeten Fälle die niedrig dosierte 1-mg-Finasterid-Variante betreffen, macht die Lage noch prekärer. Diese wird häufig über Online-Plattformen bezogen, oft ohne ausreichende Beratung. Gerade junge Männer, die sich mit dem ersten Anzeichen von Haarausfall an vermeintlich einfache Lösungen klammern, geraten in eine gefährliche Schieflage: Zwischen psychischem Leidensdruck, überzogenen Erwartungen und einem Wirkstoff, der im ungünstigsten Fall depressive Episoden auslösen kann, entsteht ein riskantes Gefälle.

Die EMA reagiert nüchtern – aber mit der richtigen Tonlage. Finasterid bleibt auf dem Markt, aber nicht ohne Warnsystem. Das ist richtig so. Ein Verbot wäre medizinisch überzogen und würde Betroffenen echte therapeutische Alternativen nehmen. Doch ebenso falsch wäre es, weiterhin zu ignorieren, dass psychische Belastungen schwer wiegende Konsequenzen haben können. Die Patientenkarte ist ein wichtiges Werkzeug, das allerdings nur dann Wirkung entfaltet, wenn es ernstgenommen und breit kommuniziert wird.

Auch das Apothekenpersonal steht nun stärker in der Verantwortung. Wer Finasterid abgibt, muss auf mögliche psychische Begleiterscheinungen hinweisen – ohne Alarmismus, aber mit Klartext. Besonders bei Erstverordnungen sollte nicht nur über Sexualfunktionen gesprochen werden, sondern auch über Stimmungen, Ängste, Reaktionen auf Veränderungen des Selbstbilds. Die Gleichsetzung von Haarverlust mit einem sozialen Makel ist tief in unserer Gesellschaft verankert – pharmazeutisch wirksame Antworten auf dieses Stigma brauchen psychologische Begleitung, nicht nur pharmakologische Präzision.

Was bleibt, ist ein Appell an die Systempartner: Ärzte, Apotheker, Hersteller und Behörden. Alle müssen gemeinsam daran arbeiten, das Risiko ernst zu nehmen und zugleich den Zugang zu wirksamen Therapien zu sichern. Der Umgang mit Finasterid steht exemplarisch für eine neue Kultur der Arzneimittelverantwortung – eine, in der nicht nur das Körperliche zählt. Die Entscheidung des PRAC weist den Weg, aber die Umsetzung beginnt in der täglichen Praxis. Dort, wo Beratung auf Vertrauen trifft – und Prävention auf Menschlichkeit.

   

Ocrelizumab-Therapie schließt Schwangerschaft nicht mehr aus

Frauen mit MS können schon vier Monate nach der letzten Infusion schwanger werden und direkt nach der Geburt stillen

Ocrelizumab galt lange als therapeutische Herausforderung für junge Frauen mit Multipler Sklerose, die einen Kinderwunsch hegen oder sich in der Stillzeit befinden. Der monoklonale Antikörper, der unter dem Handelsnamen Ocrevus® vermarktet wird, richtet sich gezielt gegen das CD20-Antigen auf B-Zellen und stellt für viele MS-Patientinnen eine wirksame Langzeitoption dar. Gleichzeitig war die Unsicherheit groß, wie sich die Substanz auf Schwangerschaft und Stillzeit auswirken könnte. Nun bringt eine Neubewertung durch europäische Zulassungsbehörden Klarheit – mit weitreichenden Konsequenzen für die Lebensplanung Betroffener.

Die zentrale Änderung: Frauen, die mit Ocrelizumab behandelt werden, müssen nur noch vier Monate nach der letzten Infusion warten, bevor sie eine Schwangerschaft anstreben können. Bisher galt ein deutlich längerer Sicherheitsabstand, der viele Paare in ihrer Familienplanung erheblich eingeschränkt hat. Hintergrund der Neuregelung ist die erneute Risikobewertung durch den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur, wonach keine signifikanten Hinweise auf embryotoxische Effekte beim Menschen vorliegen – sofern ein ausreichender Abstand zur letzten Dosis eingehalten wird.

Noch deutlicher fällt die Erleichterung beim Thema Stillen aus: Laut EMA können Patientinnen unmittelbar nach der Geburt mit dem Stillen beginnen, selbst wenn Ocrelizumab zu diesem Zeitpunkt noch im Körper zirkuliert. Auch hier stützt sich die Entscheidung auf pharmakokinetische Daten, die belegen, dass der Übergang des Antikörpers in die Muttermilch äußerst gering ist und klinisch keine Relevanz besitzt. Damit entfällt eine weitere Hürde für Frauen, die ihre Erkrankung aktiv behandeln und dennoch eine Bindung zum Neugeborenen aufbauen wollen.

Die Neubewertung dürfte nicht nur in Fachkreisen auf Zustimmung stoßen, sondern auch auf Seiten der Betroffenen. Bisher waren viele Patientinnen gezwungen, ihre Therapie zugunsten einer Schwangerschaft auszusetzen – mit dem Risiko eines Krankheitsschubs in einer ohnehin vulnerablen Phase. Die neuen Empfehlungen schaffen nun einen sicheren Rahmen, in dem eine kontinuierliche Krankheitskontrolle mit einem erfüllten Kinderwunsch vereinbar wird. Gerade für Patientinnen mit hochaktiver MS kann dies den entscheidenden Unterschied machen, ob eine Familienplanung überhaupt realistisch erscheint.

Beobachter erwarten, dass die aktualisierten Vorgaben in die nationale Praxis übernommen und zeitnah in die ärztlichen Leitlinien integriert werden. Zwar bleibt die individuelle Risikoabwägung in enger Abstimmung mit Neurologen und Gynäkologen unerlässlich, doch die grundsätzliche Perspektive hat sich gewandelt. Ocrelizumab wird damit ein Stück weit entstigmatisiert – nicht als Kontraindikation für Mutterschaft, sondern als differenziert handhabbare Therapieoption im Leben junger MS-Patientinnen.

Diese Neubewertung markiert eine leise, aber bedeutsame Zäsur im therapeutischen Umgang mit Multipler Sklerose bei Frauen im gebärfähigen Alter. Lange war der Umgang mit krankheitsmodifizierenden Therapien geprägt von Vorsicht, Ungewissheit und dogmatischer Distanz zur Reproduktionsfrage. Die neuen EMA-Empfehlungen zu Ocrelizumab korrigieren dieses Bild – nicht mit revolutionärem Gestus, sondern mit wohltuender Sachlichkeit.

Dass ein monoklonaler Antikörper, der in das Immunsystem eingreift, nicht mehr als pauschale Kontraindikation für Schwangerschaft und Stillzeit gilt, eröffnet Patientinnen eine neue Handlungsfreiheit. Und mehr noch: Die Entscheidung stärkt auch das Vertrauen in die wissenschaftliche Bewertung komplexer Therapien. Sie belegt, dass Pharmakovigilanz nicht nur Risiko bedeutet, sondern auch Verantwortung für Lebensrealitäten übernimmt.

Natürlich bleibt auch unter den neuen Bedingungen eine medizinische Feinabstimmung erforderlich. Die viermonatige Wartezeit ist nicht willkürlich gewählt, sondern Ergebnis einer differenzierten Bewertung der Halbwertszeit und Immunreaktivierung. Und auch das Stillen unter Therapie ist kein Freibrief, sondern eine Option, die ärztlich begleitet werden muss. Doch der Grundsatz hat sich verändert: Nicht der Rückzug aus der Therapie ist die Norm, sondern deren kontrollierte Fortsetzung.

Für viele junge Frauen mit MS ist das mehr als ein regulatorisches Detail. Es ist die Rückgabe eines Stücks Normalität. Es bedeutet, dass sich die Frage nach Familie, Kinderwunsch und Mutterschaft nicht länger automatisch gegen eine stabile MS-Therapie richtet. Es bedeutet, dass moderne Medizin gelernt hat, nicht nur Symptome zu kontrollieren, sondern auch Lebensentwürfe zu ermöglichen.

Dass diese Erkenntnis ausgerechnet von einer europäischen Arzneimittelbehörde kommt, unterstreicht ein weiteres Mal die Notwendigkeit von Geduld, Forschung und sachlicher Kommunikation im Umgang mit chronischen Erkrankungen. Es ist ein leiser Fortschritt – aber einer, der bleibt.

  

Kundin beschimpft Apothekenteam vor Ort

Ein Brief voller Vorwürfe sorgt für Entsetzen und zeigt den rauen Umgangston mancher Kunden

Die Stimmung an der Kasse ist angespannt, die Kundin ungeduldig – was in Apotheken zum täglichen Geschäft gehört, hat in Hessen eine neue Eskalationsstufe erreicht. Eine Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte veröffentlichte auf der Plattform Reddit den Beschwerdebrief einer Kundin, die das gesamte Apothekenteam auf beleidigende und verleumderische Weise attackierte. Die PKA kommentierte die Veröffentlichung mit den Worten: „Damit wurden wir gestern bei der Arbeit begrüßt.“

In dem Brief, der offenbar direkt an die Apothekenleitung gerichtet war, bezichtigt die Verfasserin das Team unter anderem der Inkompetenz, Arroganz und sogar des Rassismus. Sie beschreibt vermeintliche Vorfälle an der Kasse, bei denen sie sich angeblich übergangen oder beleidigt gefühlt habe. Die Schilderungen sind detailreich, zugleich aber widersprüchlich und überspitzt formuliert. Der aggressive Ton und die persönlichen Anschuldigungen lassen den Brief wie einen Frontalangriff erscheinen – nicht wie eine sachliche Kritik. Die PKA beschreibt die Wirkung des Schreibens als verstörend und demütigend.

Besonders auffällig ist dabei die Selbstverständlichkeit, mit der die Kundin offenbar erwartet, dass ihr subjektives Empfinden zur Maßgabe für disziplinarische Maßnahmen gegen Mitarbeitende wird. Die Mitarbeiterinnen wiederum berichten von einer anderen Wahrnehmung des Vorfalls – eine Eskalation an der Kasse habe es nicht gegeben, die Kundin sei auffällig laut und fordernd aufgetreten. Mehrere Kolleginnen bestätigen, dass sie sich durch das Verhalten der Beschwerdeführerin unter Druck gesetzt fühlten. Dass der Brief dennoch von der Leitung ernst genommen und intern besprochen wurde, zeigt, wie sensibel Apotheken mittlerweile mit Beschwerden umgehen müssen – selbst wenn sie offensichtlich aus der Emotionalität heraus entstanden sind.

In sozialen Netzwerken fand die Veröffentlichung des Briefs schnell große Resonanz. Viele Nutzerinnen und Nutzer zeigten sich schockiert über Tonfall und Inhalt, andere berichteten von ähnlichen Vorfällen. Der Beitrag löste eine Welle der Solidarität unter Apothekenmitarbeitenden aus, die sich in ihrer täglichen Belastung bestätigt fühlten. Der Fall verweist auf ein strukturelles Problem: Die zunehmende Erwartungshaltung einer kleiner werdenden, aber lautstarken Kundengruppe trifft auf ein System, das unter Personalmangel, Bürokratie und Dauerstress leidet. Die Folge: Der Arbeitsplatz Apotheke wird mehr und mehr zur Bühne emotionaler Übergriffe.

Dass der Beschwerdebrief öffentlich wurde, war kein Zufall, sondern bewusste Entscheidung des Teams. Es gehe nicht um Bloßstellung, so die PKA, sondern um Sichtbarmachung – um zu zeigen, was Apothekenteams heute leisten und gleichzeitig ertragen müssen. Die Veröffentlichung sei ein Weckruf, endlich mehr Wertschätzung für den Berufsstand einzufordern, nicht nur von der Politik, sondern auch von den Menschen vor Ort. Die Grenze zwischen berechtigter Kritik und persönlicher Diffamierung müsse wieder klar gezogen werden. In Zeiten zunehmender Aggression im Alltag ist das auch eine Frage des Respekts – und der gesellschaftlichen Hygiene.

Der Brief ist kein Einzelfall. Und genau das ist das eigentlich Beunruhigende. Wer in einer Apotheke arbeitet, kennt das Phänomen: Kundinnen und Kunden, die ihre schlechte Laune an der falschen Adresse abladen. Die an der Kasse eskalieren, weil ein Medikament nicht sofort verfügbar ist. Die in einem Nebensatz das ganze Team infrage stellen – und dann empört sind, wenn man nicht unterwürfig genug reagiert. Dass Apothekenmitarbeitende täglich solche Attacken einstecken müssen, ist kein Ausdruck von Unzufriedenheit, sondern ein Symptom eines gesellschaftlichen Klimas, das den Begriff „Dienstleistung“ zunehmend pervertiert.

Es geht nicht um den einen Brief. Es geht um die strukturelle Verschiebung in der Erwartungshaltung mancher Menschen: aus „Service“ wird „Unterwerfung“, aus „Beratung“ wird „Befehlsempfang“. Wer widerspricht, wird gemeldet. Wer Haltung zeigt, wird angeschwärzt. Und wer dann noch zu seinem Team steht, muss sich rechtfertigen. In dieser Dynamik offenbart sich ein toxisches Machtverhältnis – zwischen einer zunehmend übergriffigen Kundschaft und einem System, das aus Angst vor Shitstorms lieber schweigt als sich vor seine Mitarbeitenden zu stellen.

Natürlich muss Kritik in Apotheken erlaubt sein. Fehler passieren, Missverständnisse ebenso. Aber Kritik verlangt Maß, Kontext und Sprache. Wer Briefe schreibt, um Menschen öffentlich herabzuwürdigen, führt keinen Dialog, sondern eine Abrechnung. Und wer diese Briefe dann auch noch mit moralischem Sendungsbewusstsein versieht, entlarvt die wahre Absicht: Macht demonstrieren, nicht Missstände beheben. Wenn ein Brief wie dieser also zur öffentlichen Diskussion führt, dann ist das keine Bloßstellung, sondern bitter nötig. Denn Respekt ist keine Einbahnstraße. Und ein Kassenplatz ist kein Pranger.

  

Vom Bombenhagel zur Notrezeptur

Wie Apotheken in Ost und West nach 1945 das Überleben sicherten

Acht Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs rückt eine historische Perspektive in den Fokus, die bislang selten im Vordergrund stand: die Rolle der Apotheken während des NS-Regimes, im Bombenhagel der letzten Kriegsjahre und im beschwerlichen Neuanfang nach 1945. Der Marburger Pharmaziehistoriker Christoph Friedrich zeichnet aus Anlass des Jahrestags des Kriegsendes ein differenziertes Bild dieses oft übersehenen Abschnitts deutscher Gesundheitsgeschichte – und spannt zugleich den Bogen zur Gegenwart, in der Arzneimittelknappheit erneut systemische Fragen aufwirft.

Die Vorstellung vom unpolitischen Heilberuf zerbricht in der Analyse Friedrichs rasch. Viele Apotheker folgten dem NS-Regime nicht nur passiv, sondern schlossen sich aktiv der Bewegung an, manche aus Überzeugung, andere aus opportunistischen Gründen. Die Umstellung auf eine kriegswirtschaftliche Versorgung stellte die Apotheken rasch vor enorme Herausforderungen: Personal wurde eingezogen, Vorräte schrumpften, improvisierte Rezepturen wurden zur Überlebensstrategie. Frauen rückten in Schlüsselpositionen auf, häufig ohne formelle Anerkennung, und mussten in zerstörten Laboren Lösungen finden, während draußen die Sirenen heulten.

Mit zunehmender Bombardierung deutscher Städte rückten die Apotheken noch stärker ins Zentrum der lokalen Versorgung. Zwischen Trümmern, Notverbänden und Evakuierungen wurden sie zu Stützpunkten medizinischer Grundversorgung. Friedrich beschreibt diesen Zustand als „chaotisch strukturiert“ – von zentraler Bedeutung, aber oft ohne funktionierende Logistik, unterversorgt und zugleich überbeansprucht. Im Chaos der letzten Kriegsmonate dokumentiert er die Resilienz des Berufsstandes, aber auch dessen Einbindung in das System der NS-Gesundheitspolitik.

Nach dem Waffenstillstand am 8. Mai 1945 zeigte sich, wie fragil die pharmazeutische Infrastruktur war. Apotheken lagen in Trümmern, Produktionsstätten waren zerstört oder demontiert worden. In den westlichen Besatzungszonen begannen Apothekerinnen und Apotheker unter Aufsicht der Alliierten mit dem Wiederaufbau – mit wenigen Mitteln, viel Improvisation und unter planwirtschaftlicher Regulierung, wie sie etwa durch Bezugsscheine oder Verteilungsquoten geprägt war. In vielen Fällen mussten Arzneien erneut in der Offizin selbst hergestellt werden, was das Fachwissen und die Handwerkskunst der Apotheker stärker denn je beanspruchte.

Die personelle Lage entspannte sich nur langsam. Viele Rückkehrer aus Kriegsgefangenschaft fanden ihre alten Apotheken nicht mehr vor. Neue Fachkräfte kamen aus den deutschen Ostgebieten oder aus der sowjetischen Besatzungszone. Gleichzeitig begann ein differenzierter Entnazifizierungsprozess, der auch die Apothekerschaft erfasste – mit regional stark schwankender Konsequenz. Friedrich dokumentiert anhand ausgewählter Quellen die Uneinheitlichkeit dieser Verfahren und das Spannungsfeld zwischen notwendiger Vergangenheitsbewältigung und funktionaler Versorgung.

In der sowjetischen Besatzungszone gestaltete sich die Lage nochmals anders. Die pharmazeutische Industrie wurde großflächig demontiert oder unter staatliche Kontrolle gestellt, die private Apothekenstruktur zunehmend durch zentrale Planungsmechanismen ersetzt. Der Beruf des Apothekers wurde neu definiert: Als staatlich regulierte Funktion im Gesundheitswesen der DDR war er Teil eines Systems, das politische Loyalität über berufliche Unabhängigkeit stellte. Auch hier begegnet Friedrich einem Mix aus Mangel, Improvisation und staatssozialistischer Kontrolle.

Trotz aller Unterschiede in Ost und West konstatiert der Historiker eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit: die unbedingte Bereitschaft der pharmazeutischen Fachkräfte, unter extremen Bedingungen die Versorgung aufrechtzuerhalten – mit Kreativität, Disziplin und nicht selten persönlichem Risiko. Auch halblegale Lösungen wurden pragmatisch geduldet, wenn sie der Bevölkerung halfen. Friedrichs Rückblick ist nicht nur eine historische Dokumentation, sondern ein Plädoyer dafür, die strukturelle Rolle der Apotheken auch in heutigen Krisenzeiten ernster zu nehmen.

Die Geschichte der Apotheken im und nach dem Zweiten Weltkrieg ist mehr als eine Fußnote der Zeitgeschichte – sie ist ein Brennglas auf die Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit eines Berufsstandes, der sonst oft nur als Ort der Medikamentenabgabe wahrgenommen wird. Christoph Friedrich gelingt mit seiner Analyse ein eindrucksvolles Panorama pharmazeutischer Praxis unter den Bedingungen von Totalitarismus, Krieg und Mangelwirtschaft – und eröffnet damit Perspektiven, die weit über das Historische hinausweisen.

Gerade in der heutigen Zeit, in der internationale Lieferketten unterbrochen sind, globale Konflikte Versorgungswege blockieren und Apotheken erneut als letzte Bastion medizinischer Versorgung gefordert sind, wirkt dieser historische Rückblick beinahe bedrückend aktuell. Die Engpässe von 1944 unterscheiden sich strukturell gar nicht so sehr von den Herausforderungen im Jahr 2024. Was damals der Bombenkrieg war, sind heute Cyberangriffe, Handelskonflikte und globale Produktionsmonopole. Doch die gesellschaftliche Anerkennung, die den Apotheken nach dem Krieg für ihren unermüdlichen Einsatz zumindest punktuell zuteilwurde, ist heute oft bloßer Lippenbekenntnis gewichen.

Besonders bemerkenswert ist Friedrichs vergleichender Blick auf Ost und West – nicht, um Unterschiede zu katalogisieren, sondern um zu zeigen, dass Versorgungssysteme stets ein Spiegel ihrer politischen Systeme sind. Während im Westen pragmatisch reguliert wurde, um Versorgungslücken zu schließen, ging der Osten einen Weg der staatlichen Kontrolle bis zur Entprivatisierung. Doch in beiden Fällen blieben die Apotheken handlungsfähig, weil Menschen vor Ort bereit waren, sich den Bedingungen zu stellen – unabhängig von Ideologie, häufig auf eigene Rechnung.

Es ist diese Haltung – pragmatisch, leidensfähig, lösungsorientiert –, die auch in aktuellen Diskussionen über die Rolle der Apotheke als Gesundheitsversorger wieder stärker ins Zentrum rücken sollte. Nicht als nostalgische Verklärung, sondern als strategische Lehre aus der Geschichte. Denn wer heute über Apotheken reformiert, sollte wissen, dass ihre Resilienz teuer erkauft wurde – mit Einsatz, mit Verzicht, mit Verantwortung in Zeiten größter Unsicherheit.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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