Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Essen - Den
Gesundheitsfonds politisch durchgesetzt und dabei die Ratschläge der
Experten in den Wind geschlagen, die Kritik der Verbände überhört, die
Einwände der Krankenkassen ignoriert und die Interessen der
Beitragszahler aus den Augen verloren: Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt sitzt bei Anne Will in der politischen Talkrunde und lächelt
alle Angriffe hinweg.
Es ist faszinierend und schockierend zugleich: 385 Abgeordnete des
Deutschen Bundestages - 197 der CDU und 188 der SPD - hatten im
Deutschen Bundestag der Einführung des "Gesundheitsfonds" zugestimmt,
vielleicht, weil sie sich mit der Materie nicht beschäftigt haben oder
sich überfordert fühlten. Jetzt - pünktlich zum 1.Januar 2009 - ist das
Monstrum losgelassen.
Die "Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland" greift das
Thema im Leitartikel der Januar-Ausgabe auf und erklärt, warum der
"Gesundheitsfonds" das Ende des Wettbewerbs um günstige Tarife
bedeutet. Und ein Experte wie Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, beantwortet die
Frage "Beitrag rauf, Leistungen runter?".
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint
monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist kostenlos
in Apotheken erhältlich.
Gesundheitsfonds 2009
OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE
Der Gesundheitsfonds ist seit Monaten in aller Munde. Diejenigen, die
ihn ins Leben gerufen haben, tun so, als glaubten sie fest daran, dass
jetzt alle Finanz- und Qualitätsprobleme des Gesundheitswesens gelöst
seien. Auf der anderen Seite stehen Experten aus allen Bereichen des
Gesundheitswesens, der Wirtschaft und der Politik. Sie warnen vor
dieser dramatisch veränderten Organisation der gewaltigen
Zahlungsströme im Gesundheitswesen. Sie sei beispiellos und in ihren
Auswirkungen unüberschaubar. Und sie sagen eine neue finanzielle
Katastrophe für das deutsche Gesundheitssystem voraus.
Doch was genau ist der Gesundheitsfonds eigentlich? In wenigen Worten
erklärt, handelt es sich um einen Finanztopf, in den die Beiträge von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern fließen. Hinzu kommen Steuerzuschüsse
und die Zuzahlungen der Patienten. So kommt die kaum vorstellbare Summe
von 167 Milliarden Euro pro Jahr zusammen. Dieser Topf -
Gesundheitsfonds genannt - wird unter den rund 200 Krankenkassen in
Deutschland aufgeteilt. Und auch der Krankenkassenbeitrag wurde
vereinheitlicht. Egal, wo man versichert ist: Statt der bisher
durchschnittlichen 14,8 Prozent steigt der Beitrag zunächst auf 15,5
Prozent. Ein Vorteil für die wenigen, die bisher bei einer eher teuren
Kasse versichert waren, ein Nachteil für jene, die von einer günstigen
Versicherung profitierten.
Und was verspricht sich die Bundesregierung von dieser Neuerung?
Dadurch, dass die Kassen jetzt nicht mehr mit besonders günstigen
Tarifen locken können, soll sich der Wettbewerb künftig um die beste
medizinische Versorgung drehen. Der Patient und seine Bedürfnisse
sollen im Mittelpunkt stehen, denn er könne sich seine Krankenkasse nun
nach den Leistungen aussuchen, die für ihn wichtig sind. Ein äußerst
edler Beweggrund, möchte man meinen. Tatsächlich handelt es sich jedoch
um eine Marsmission mit Startproblemen und einem ungewissen Ende. Der
Grund: Die negative Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Sie kann
dafür sorgen, dass die Einnahmen des Gesundheitsfonds weit hinter dem
zurückbleiben, was die Kassen zum Wirtschaften eigentlich benötigen.
Und die dürfen nur in begrenztem Umfang Zusatzbeiträge erheben. Der
Gesundheitsfonds, und damit die medizinische Versorgung, ist also
direkt gekoppelt an die wirtschaftliche Situation im Land: Mit Blick
auf die Rezession ein äußerst gefährliches Spiel mit kaum vermeidbaren
negativen Folgen. Das Ausmaß kann bis jetzt noch niemand verlässlich
einschätzen.
In dieser Unberechenbarkeit sehen viele Experten die große Gefahr. Die
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnte jüngst, dass der
Einheitsbeitragssatz zu Zahlungsschwierigkeiten der Kassen führen
könnte. Auch dass demnächst gesetzliche Kassen pleitegehen können, ist
nicht ausgeschlossen. Einige Kassen haben schon vor dem Inkrafttreten
des Fonds angekündigt, dass es Verzögerungen bei den sogenannten
Abschlagszahlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen geben könnte.
Die mögliche Folge: Vertragsärzte müssen auf ihre Bezahlung warten. Die
Befürchtungen gehen sogar so weit, dass Versicherte betroffener Kassen
in solch einem Fall nur noch gegen Vorkasse behandelt werden könnten.
Experten rechnen damit, dass das wirkliche Ausmaß der durch den
Gesundheitsfonds verursachten Probleme erst 2010 sicht- und spürbar
werden wird. Schon jetzt kämpft der Fonds mit einem Einnahmeloch von
rund 440 Millionen Euro. Das soll nicht mit einem Steuerzuschuss,
sondern durch ein Darlehen des Bundes ausgeglichen werden. Doch im Jahr
2010 muss dieses Darlehen wieder zurückgezahlt werden.
Gleichzeitig muss aber auch die für dieses Jahr erwartete Unterdeckung finanziert werden - ein kaum lösbares Problem.
Die Einwände der Kritiker des Gesundheitsfonds sind daher zahllos. So
befürchtet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dass die Kassen
Zusatzbeiträge einfordern werden, die vor allem einkommensschwache
Versicherte massiv belasten. Er beklagt, dass der Gesundheitsfonds
keine tragfähige Finanzierungsgrundlage schaffe und keineswegs zu einem
effizienteren Qualitäts- und Kostenwettbewerb führe.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks befürchtet, dass die
Lohnzusatzkosten die 40-Prozent-Marke deutlich überschreiten werden und
der Gesundheitsfonds daher zu einem unberechenbaren "Kostentreiber"
werde.
Ein besonderes Trauerspiel, das perfekt ins Konzept der bisherigen
Pannen passt: Das Bundesversicherungsamt (BVA) - zuständig für die
"gerechte" Verteilung der 167 Milliarden Euro an die Kassen - soll laut
einem Schreiben an die Krankenkassen die Zahnarztausgaben "nicht
berücksichtigt" haben. Im Dezember vergangenen Jahres berichtete das
Nachrichtenmagazin "Focus", dass man bei der Berechnung der
Umverteilung wohl davon ausging, die Kosten für Zahnbehandlungen -
ähnlich wie in anderen medizinischen Bereichen - würden im Alter
steigen. Tatsächlich ist es in der Zahnmedizin jedoch umgekehrt. Nun
kriegen zunächst die Kassen mit vorwiegend älteren Versicherten zu
viel, die mit überwiegend jüngeren zu wenig aus dem Finanztopf
überwiesen. Dieser nicht nachvollziehbare Fauxpas soll zu allem
Überfluss nicht rechtzeitig "ausgebügelt" werden können: Eine Korrektur
soll "Focus" zufolge angeblich erst 2010 möglich sein. Das
Bundesversicherungsamt stritt einen Fehler ab: Man weise "Pauschalen"
zu. Abgerechnet werde am Jahresende.
Dass der Gesundheitsfonds mit seinem Einheitsbeitrag den Wettbewerb
unter den Kassen um günstige Tarife endgültig beendet, ist gewollt. In
einem "Informationsflyer" des Bundesministeriums für Gesundheit vom 4.
Dezember 2008 heißt es überdeutlich: ". Der allgemeine Beitragssatz
beendet den unfairen Wettbewerb um den niedrigsten Beitragssatz und
eröffnet einen fairen Wettbewerb um den besten Service ..." Der
Wettbewerb um niedrigste Preise ist "unfair"? Nun, damit müssen
Krankenhäuser, Arzneimittelhersteller, Ärzte, Apotheker und nicht
zuletzt die Patienten aufgrund politischer Fehlentscheidungen seit
Jahren zurechtkommen.
"Der Gesundheitsfonds ist schon pleite, bevor er überhaupt gestartet
ist", kritisiert Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der
FDP-Bundestagsfraktion. Er bezeichnet den Gesundheitsfonds als
"bürokratisches Monster" und trifft damit den Kern. Wie jedes Monster
verursacht es Alpträume: Der Staat bestimmt alleine über Wohl und Wehe
der Krankenkassen, der Krankenhäuser, der Arzneimittelausgaben, der
Ärztehonorare - kurz, des gesamten Gesundheitswesens. Die Höhe der
möglichen - oder wegen der Haushaltslage dann angeblich nicht möglichen
- Steuerzuschüsse des Bundes wird das Druckmittel sein. Die Qualität
wird nicht steigen, sondern sinken. Glücklich werden weder die
Beitragszahler noch die Krankenkassen noch die vielen Erbringer von
Dienstleistungen für das Gesundheitswesen und schon gar nicht die
Patienten.
Nur die Gesundheitsministerin wird glücklich sein. Sie, für die alle
Organisationsfragen immer auch Machtfragen waren, ist endlich am Ziel:
Der Weg in ein staatliches Gesundheitswesen ist beschritten. Wo und wie
er endet, kann man im hilflosen England sehen.
OHNE FORTUNE
Ein Kommentar der Redaktion
Bevor Josef Hecken Präsident des Bundesversicherungsamtes wurde,
bekleidete der CDU-Politiker gleich zwei hohe Ministerämter im
Saarland: Er war zugleich Gesundheits- und Justizminister. Gegen
deutsches Recht genehmigte Hecken schon 2006 eine Apotheke des
holländischen Arzneimittelversenders DocMorris: Das übergeordnete
Europarecht verlange zwingend die Zulassung der ersten Apotheke auf
deutschem Boden, die nicht einem Apotheker, sondern einer
Kapitalgesellschaft gehörte. Das allerdings sah Yves Bot, Generalanwalt
am europäischen Gerichtshof, vor dem das Verfahren schließlich landete,
ganz anders. Dessen Plädoyer im Dezember 2008 muss Hecken als
schallende Ohrfeige empfunden haben: Keineswegs stehe das deutsche
Recht, wonach nur ein Apotheker eine Apotheke besitzen darf, dem
europäischem Recht entgegen.
Aber Hecken war schon weiter aufgestiegen: Als Präsident des
Bundesversicherungsamtes trägt er jetzt die Verantwortung für die
richtige Verteilung der 167 Milliarden Euro des Gesundheitsfonds an die
Kassen. Und da soll es nach einem Bericht im Nachrichtenmagazin "Focus"
zu einem milliardenschweren Rechenfehler gekommen sein.
Sollte das stimmen, würden sich die Kritiker des "Gesundheitsfonds" in ihrem Misstrauen nur noch mehr bestätigt sehen.
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