Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Essen - Was haben die weltweite Finanzkrise, die Einführung des Gesundheitsfonds, die Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln und die Umstellung von Millionen AOK-Patienten auf neue Tabletten zum 1. Juni 2009 gemeinsam? Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland moniert in ihrer Juni-Ausgabe, wie wenig die jeweils politisch Verantwortlichen die vielen Warnungen seitens der Experten ernstgenommen haben. Zugleich stellt sie heraus, wie dramatisch die Auswirkungen sein können, wenn hochkomplexe Systeme wie das Gesundheitswesen in ihrem labilen Gleichgewicht ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen gestört werden. Die Neue Allgemeine plädiert für ein Ende solcher Experimente mit ungewissem Ausgang.
Karikatur zum Download auf http://www.neue-allgemeine.de
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland ist
deutschlandweit monatlich mit der Auflage von 1 Million Exemplaren
kostenlos in Apotheken erhältlich.
Millionen Patienten müssen sich zum 1. Juni auf neue Tabletten einstellen
SCHLUSS MIT DEN EXPERIMENTEN!
Warnungen gab es genug. Konnte der auf Pump finanzierte Immobilienboom
in den USA immer so weitergehen? Die Banken scherten sich nicht um
Solidität, Kontinuität und Nachhaltigkeit ihrer Geldgeschäfte. Sie
schlugen alle kritischen Stimmen in den Wind. Das Ergebnis ist bekannt.
Die weltweite Finanzkrise hatte dramatische Folgen: zahllose
Unternehmen brachen zusammen, wichtige Industriezweige wurden bis ins
Mark getroffen, Millionen Menschen verloren ihre Arbeit, ihre Häuser,
ihre Ersparnisse, ihre Altersversorgung, ganze Staaten ihre
Kreditwürdigkeit, und die Banken mussten aus Steuermitteln mit
unvorstellbar hohen Milliardenkrediten gerettet werden.
Warnungen gab es genug. War nicht vorauszusehen, dass sich der
„Gesundheitsfonds", der milliardenschwere Verschiebebahnhof der
Gesundheitspolitik, zu einem bürokratischen Monster entwickeln würde,
dessen Hunger nach Steuermitteln unersättlich sein würde?
Gesundheitsexperten wie der FDP-Politiker Daniel Bahr fühlen sich heute
in ihrer Kritik bestätigt: „Schon im ersten Jahr seines Bestehens steht
der Fonds vor der Pleite", sagte er jüngst dem „Handelsblatt". Schon
rechnen die Krankenkassen für das Jahr 2010 mit einem Defizit von 13(!)
Milliarden Euro. Manche Kassen befürchten die Pleite, alle zusammen
müssen sie neue Schulden in Milliardenhöhe anhäufen. Und
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die das Chaos angerichtet
hat, kündigt im Interview mit der FAZ an: „Ich will 25 Milliarden Euro
Steuergeld für die Gesundheit". Das ist lächerliches Wahlkampfgerede.
Seit Jahren bettelt das Gesundheitswesen um Geld für Investitionen und
leistungsgerechte Bezahlung des Personals in Krankenhäusern, um
Vergütungen, die auch eine Arztpraxis auf dem Lande noch erhalten
können und um eine menschenwürdige und diskrete Versorgung von
Inkontinenzpatienten. Alles Fehlanzeige.
Warnungen gab es genug. Haben nicht zahllose Gesundheitsexperten im
Zusammenhang mit dem neuen „Gesundheitsfonds" das kommen sehen, was
jetzt selbst Norbert Klusen, Chef der Techniker Krankenkasse, im
Interview mit der „Rheinischen Post" herausstellte? „Es gibt erhebliche
Bestrebungen mancher Krankenkassen, die Menschen auf dem Papier kränker
zu machen, als sie wirklich sind. Davon profitieren die Kassen und die
Ärzte. Alle Anstrengungen der Aufsicht haben bisher nicht dazu geführt,
dass die Beeinflussungen unterbleiben." Dass Kassen für kränkere
Patienten mehr Geld aus dem Fonds erhalten, ist richtig und
solidarisch. Dass sie jetzt alles tun, um ihre Kranken „auf dem Papier"
kränker zu machen, ist eine gesundheitspolitische Perversion, die zu
erwarten war. Trotzdem ließ sich die Bundesregierung nicht davon
abhalten, dem Vorschlag der Gesundheitsministerin zur Einführung des
Gesundheitsfonds zuzustimmen.
Warnungen gab es genug. Wiesen Experten wie Prof. Dr. Harald G. Schweim
von der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn nicht
eindringlich darauf hin, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln via
Internet die Tür weit öffnen würde für Pillenfälscher und
Medikamentenmissbrauch? Prof. Dr. Theodor Dingermann von der
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt sagte damals schon in der
Neuen Allgemeinen Gesundheitszeitung voraus: „Wir werden unsere
Katastrophen erleben!". Prof. Dr. Schubert-Zsilavecz, Leiter des
Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker, warnt: „Gefälscht wird alles,
was Profit verspricht." Und die Experten des Bundeskriminalamtes
bestätigen mit beunruhigenden Zahlen, wie steil die Kurve der
„erwischten" Arzneimittelfälschungen nach oben geht. Selbst das
Bundesgesundheitsministerium gibt auf seiner Website zu: „Bei der
Nutzung von Gesundheitsinformationen aus dem Internet sowie beim Bezug
von Arzneimitteln über das Internet ist es schwierig, seriöse von
unseriösen Anbietern zu unterscheiden". Das wird auch so bleiben, allen
Bemühungen des Ministeriums zum Trotz, den Internethandel mit
Fälschungen durch wirkungslose Maßnahmen zu unterbinden.
Warnungen gab es genug. Wiesen nicht Patientenorganisationen und
Selbsthilfegruppen, Ärzte und Hersteller, Apotheker und Sanitätshäuser
auf die möglichen katastrophalen Auswirkungen von Ausschreibungen der
Krankenkassen im Hilfsmittelbereich hin, insbesondere für die wachsende
Zahl inkontinenter Patienten? Seit die Kassen die Versorgung dieser
Patientengruppen zu niedrigsten „Pauschalen", deren kalkulatorische
Grundlage nur billigstes Material sein kann, an einige wenige Anbieter
vergeben haben, die oftmals mit der ordnungsgemäßen Versorgung der
Patienten auch noch hoffnungslos überfordert sind, reißen die Hilferufe
und Beschwerden nicht ab. Manchmal rudert eine Krankenkasse ein wenig
zurück, öffnet die alten bewährten Versorgungswege wieder für ihre
Versicherten. Doch was ist mit den Patienten, die sich nicht wehren
können, weil sie zu alt oder zu ängstlich oder dement sind?
Warnungen gab und gibt es genug. Seit einigen Jahren sorgen die
Rabattverträge der Krankenkassen über Arzneimittel vor allem bei
chronisch Kranken und älteren Menschen für Verunsicherung. Patienten
erhalten gegebenenfalls nicht länger ihr gewohntes Arzneimittel,
sondern die Medikamente, über die ihre Krankenkasse einen Rabattvertrag
mit dem Hersteller geschlossen hat. Ausnahmen gibt es nur, wenn der
Arzt ausdrücklich die gewohnte Medikation verschreibt. Die Kassen
sollen auf diesem Weg Kosten einsparen, da der Hersteller mit dem
niedrigsten Preis für den ausgeschriebenen Wirkstoff „gewinnt".
Was logisch und sinnvoll klingt, hat in den vergangenen zwei Jahren für
massive Probleme gesorgt. Apotheker und Ärzte klagen darüber, dass es
nicht selten zur Verweigerung der neuen Medikation kam. Der massive
organisatorische Aufwand in den Apotheken sorgte darüber hinaus für
Wartezeiten und verständlichen Unmut unter den Kunden.
Ab dem 1. Juni ist es wieder so weit. „Millionen AOK-Versicherte müssen
innerhalb kürzester Zeit auf neue Präparate umgestellt werden. Wir
bereiten uns intensiv auf eine enorme Welle an Mehraufwand und
Erklärungsbedarf in den Apotheken vor", so Fritz Becker, Vorsitzender
des Deutschen Apothekerverbandes (DAV). Er fährt fort: „Hier sind die
Teams in den Apotheken gefordert. Neben Lagerhaltung und der Umstellung
der Computersoftware in mehr als 21 500 Apotheken werden unsere 148 000
Kolleginnen und Kollegen mit den Problemen, Fragen und auch Ängsten der
AOK-Patienten konfrontiert", erklärt Becker. „Bei der Umsetzung der
Rabattverträge zeigt sich erneut: Wenn es um die flächendeckende,
ernsthafte Versorgung geht, dann ist die Apotheke vor Ort das Maß der
Dinge. Ich freue mich, dass die AOK dies schätzen gelernt hat."
Besonders wichtig ist es für die Apothekerinnen, Apotheker und alle
pharmazeutisch-technischen AssistentInnen, den Betroffenen ihre Ängste
zu nehmen und damit die „Compliance" - so der Fachbegriff für das
kooperative Verhalten eines Patienten im Rahmen einer Therapie, zu der
auch die regelmäßige Einnahme von Arzneimitteln gehört - zu sichern.
Während es einem gesunden Menschen unkompliziert vorkommen mag, das
gleiche Arzneimittel von einem anderen Hersteller einzunehmen, kann es
insbesondere für chronisch kranke und ältere Menschen durchaus ein
Problem sein: Weiße, eckige Tabletten werden plötzlich zu kleinen
himmelblauen Dragees und die altbekannte weiß-grüne Kapsel ist
plötzlich orange-rot .
Apotheken in ganz Deutschland werden ihren Kunden für Fragen rund um
das neue Arzneimittel alsAnsprechpartner vor Ort zur Verfügung stehen.
„Wir haben uns gut auf die neue Phase vorbereitet und sind darum
bemüht, Unmut und Verunsicherung der Betroffenen durch unsere Beratung
abzufangen", so Ulrich Schwier, Inhaber der Kaiser-Wilhelm-Apotheke in
Essen. „Wir sind allerdings besorgt, dass es bei den kleineren
Herstellern erneut zu Lieferengpässen kommen kann."
Immerhin kommt die AOK den Apotheken in „Härtefällen" entgegen: Sollte
sich im Rahmen des Beratungsgesprächs herausstellen, dass der Patient
sich nicht auf die neue Medikation einlassen wird, ist der Apotheker
befugt, das gewohnte Präparat herauszugeben. Jedoch ist diese Praxis
nur in absoluten Sonderfällen möglich und der Apotheker ist
verpflichtet, der AOK eine ausführliche schriftliche Begründung für
seine Entscheidung zu liefern. Die Apotheken sehen sich im Rahmen ihres
Auftrages, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu sichern, auch
in der Verantwortung, positiven Einfluss auf die Therapietreue gerade
chronisch kranker und älterer Menschen zu nehmen. Die Anstrengungen
aller Beteiligten sind groß, doch niemand kann überprüfen, was die
Umstellung von Millionen Patienten finanziell für die Kassen bringt.
Zum Glück muss der Patient erst wieder in zwei Jahren mit neuen Pillen
rechnen. So lange sind die Verträge gültig.
IM ZWEIFEL GEGEN DEN PATIENTEN
Ein Kommentar der Redaktion
Ausschreibungen sind ein probates Mittel, den billigsten Anbieter
herauszufinden. Das weiß jeder Bauherr. Ohne Ausschreibungen kein Haus,
keine Straße, kein Krankenhaus, keine Schule. Öffentliche
Ausschreibungen sind streng geregelt. Darüber wacht das
Bundeskartellamt.
Seit das Bundesgesundheitsministerium Ausschreibungen für Medikamente
und Hilfsmittel erlaubt hat, muss sich das Kartellamt auch hier um die
Einhaltung des Wettbewerbs kümmern. Und zwar mit den gleichen
gesetzlichen Vorschriften wie bei Bau-Ausschreibungen. Doch die passen
nicht. So kommt es denn letztendlich, dass aufgrund von Ausschreibung,
Einsprüchen der Hersteller und Entscheidungen des Kartellamtes alle
AOK-Patienten, die aufgrund von Magengeschwüren einen bestimmten
Wirkstoff einnehmen müssen, ab Juni in ganz Deutschland nur noch ein
und dasselbe Medikament erhalten, es sei denn, der Arzt verschreibt
ausdrücklich ein Produkt eines anderen Herstellers. Und die Radiologen
werden auf der Grundlage des Vergaberechts möglicherweise gezwungen,
für Patienten der BARMER und anderer Kassen auf das Kontrastmittel
ihrer Wahl, dessen Wirkung und Nebenwirkungen sie kennen, zu verzichten
zugunsten von Produkten, mit denen sie vielleicht nicht arbeiten
wollen. Aber nicht die Ärzte, sondern die Krankenkassen setzen nach
Auffassung des Bundeskartellamtes den Rahmen für die Ausübung der
Therapiefreiheit: So stehe es im Gesetz.
Spielt der Patient noch eine Rolle, wenn es ums Kostensparen geht?
NOWEDA eG
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