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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland / Ausgabe August 2010
Karikatur zum Download auf www.neue-allgemeine.de
Essen - Im Juli äußerte
sich die fünfköpfige Monopolkommission unter Leitung von Prof. Dr.
Justus Haucap in ihrem 18. Hauptgutachten zum Wettbewerb unter
Apotheken. Ihr Fazit: Unter Apotheken herrsche zu wenig Wettbewerb.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift das Thema
in der August-Ausgabe auf und erläutert, warum es unter Apotheken -
anders als es von der Monopolkommission dargestellt wird - bereits
einen knallharten Wettbewerb gibt und warum die von Haucap
vorgeschlagenen Regulierungsmaßnahmen letztlich wieder die Menschen
benachteiligen, die auf eine gute und sichere Arzneimittelversorgung
angewiesen sind: Die Patienten.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint
monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren deutschlandweit
und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.
DER FALSCHE ERSTE KNOPF
Auch Professoren können irren.
"Wenn der erste Knopf falsch ist, sind alle anderen Knöpfe auch
falsch", sagt der Volksmund. Das gilt für jeden - erst recht für
Professoren. Wenn sie untersuchen und beraten und Gutachten erstellen,
dann müssen sie genau hinsehen. Und wenn sie Thesen aufstellen, wie sie
sich die notwendige Entwicklung in einem so sensiblen Wirtschaftszweig
wie dem Gesundheitswesen vorstellen, dann darf die Öffentlichkeit
erwarten, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Doch offensichtlich können auch Professoren mit dem falschen Knopf
anfangen - wie der Volkswirt Professor Dr. Justus Haucap. Irgendetwas
muss er falsch verstanden haben. Haucap, Direktor des "Instituts für
Wettbewerbsökonomie" in Düsseldorf, ist seit Juli 2008 Vorsitzender der
"Monopolkommission". Die soll die Bundesregierung in Fragen der
Wettbewerbspolitik und der Regulierung beraten.
Die Monopolkommission hat nur fünf Mitglieder. Neben Haucap sind das
die Unternehmerin Dr. Angelika Westerwelle, Ehefrau eines Cousins von
Außenminister Guido Westerwelle, die Medienunternehmerin Christiane
Kofler, ehemals Prinzessin zu Salm, Dr. Thomas Nöcker, Vorstand der K+S
Aktiengesellschaft und Prof. Dr. Daniel Zimmer, Direktor des Instituts
für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn.
Dass sich die Beratungstätigkeit der Monopolkommission auch auf das
Gesundheitswesen erstreckt, ist richtig und wichtig. Insbesondere unter
der Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat es jede Menge an
Konzentration und Wettbewerbseinschränkung gegeben.
Da war der Rückgang des Wettbewerbs unter den Krankenkassen. Ihre Zahl
sank von über 1 147 (1990) auf aktuell 163 - die hohen
Verwaltungskosten sanken allerdings nicht mit. Und da war die
gebündelte Nachfragemacht der jetzt groß und stark gewordenen Kassen,
die eine Vielzahl kleinerer Anbieter von Gesundheitsleistungen und
Produkten aus dem Rennen um Aufträge warfen. Da war auch die Einführung
des Gesundheitsfonds, der jeden Beitragswettbewerb unter den Kassen
erstickte. Und da war die Entwicklung von Krankenhausketten in privatem
Besitz, die das Krankenhauswesen nicht billiger machten, durch
Spezialisierung auf lukrative Krankheitsfälle den kommunalen
Krankenhäusern aber die kostenintensiven Fälle überließen und damit
deren Verluste vergrößerten. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Von der Monopolkommission war zu diesen Entwicklungen wenig zu hören.
Gut möglich, dass die entsprechenden Gutachten im
Wirtschaftsministerium verstaubten.
Jetzt will es die Monopolkommission allerdings wissen. Sie hat (oder
hat sie nicht?) den Wettbewerb unter den Apotheken in Deutschland
untersucht. Ergebnis: Zwar gäbe es ein bisschen Wettbewerb - über
Zugaben und Zeitschriften -, doch der müsse dringend verbessert werden
- und zwar über den Preis. Das zeigt, wie oberflächlich diese
Untersuchung erfolgt sein muss. Dass der Wettbewerb unter Apotheken
knüppelhart ist, muss der Kommission irgendwie entgangen sein. Und wenn
der erste Knopf falsch ist...
In Deutschland gibt es 21 500 Apotheken. Das ist, pro Kopf der
Bevölkerung gerechnet, nicht besonders viel, sondern europäischer
Durchschnitt. Diese Apotheken garantieren, so will es das Gesetz,
zusammen mit dem pharmazeutischen Großhandel die Versorgung der
Bevölkerung mit Arzneimitteln bis in den letzten Winkel der
Bundesrepublik. "Flächendeckend" nennt man das. Die Preise für
rezeptpflichtige Arzneimittel sind überall gleich.
Es ist schon einige Jahrzehnte her, dass der Gesetzgeber diese
Leitlinien in Gesetze und Verordnungen goss. Damals sah der Staat die
Gefahren eines Arzneimittelmarktes mit freier Preisbildung genau.
Niemand sollte einen anderen Preis für ein Arzneimittel bezahlen als
den vom Staat in einer Preisspannenverordnung festgelegten, egal ob
aufgrund zu hoher Nachfrage oder eingeschränkter Lieferfähigkeit eines
Arzneimittels bei Epidemien, der Entfernung zu einer Apotheke oder der
Zugehörigkeit zu dieser oder jener Krankenkasse . Das war logisch,
vernünftig und sozial gerecht.
Daran will die Monopolkommission jetzt rütteln. Dass es in der
Kommission keine Denkverbote gibt, ist zwar löblich, dem Ergebnis
jedoch abträglich. Wie sonst kann man auf die Idee kommen, jeder
Apotheker möge sein Beratungshonorar für verschreibungspflichtige
Medikamente frei kalkulieren? Wie das? Preisverhandlungen mit dem
kranken Kunden?
Hat die Kommission die unterschiedlichen Mentalitäten der Menschen
nicht gesehen? Weiß sie nicht, dass es rücksichtslose und hartnäckige
"Preisverhandler" gibt, die auch in anderen Branchen erfolgreich
agieren - zu Lasten der Schüchternen, der Braven, der Anständigen, die
dann den "Aufpreis" zahlen müssen? Soll die Rücksichtslosigkeit einer
Ellenbogengesellschaft jetzt auch unter Kranken den Preis für
Medikamente bestimmen?
Wer im Übrigen auf die Idee kommt, Haucap gestatte nach diesem freien
Kalkulationsmodell den Apotheken, im Nacht- und Notdienst jetzt endlich
kostendeckende Preise zu fordern, liegt falsch. So weit soll der
Preiswettbewerb denn doch nicht gehen. "Missbrauchspotenzial" nennt
Haucap ein solches Verhalten. Deshalb will Haucap den Preis für
Arzneimittel nach oben hin deckeln - auf der Höhe des jetzigen Preises.
Die Monopolkommission als Preisregulierer.
Das eigentliche Ziel des 18. Hauptgutachtens der Kommission könnte
jedoch ein anderes sein: die Zahl der Apotheken drastisch zu
reduzieren. Wie anders soll man die Äußerungen von Prof. Haucap
verstehen, die meisten chronisch Kranken würden dann sicher in die
billigste Apotheke strömen? Und die - so folgert man - kann ruhig
weiter entfernt sein. Chronisch Kranke haben ja Zeit genug.
Und die anderen, die akut Kranken? Die wieder nach Hause wollen? Die
Mütter, die mit einem kranken Kind "noch schnell" in die Apotheke um
die Ecke müssen? Die alleinstehenden, immobilen älteren Menschen, die
keinen "Besorger" haben? Die sollen dann wohl in die "Restapotheke".
Dass die davon nicht leben kann und als Kümmerexistenz aus dem Markt
ausscheiden muss, ist offensichtlich gewollt.
Da passt es denn auch, dass Haucap auf dem Kongress des
"Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken" auftritt. Die werden sich
sicher über das Gutachten der Monopolkommisssion freuen und auf
steigende Umsätze hoffen, auch wenn niemand so genau weiß, ob
Versandapotheken Geld verdienen oder das Geld ihrer Kreditgeber
verbrennen, weil man mit Billigstpreisen die von einer Apotheke
gesetzlich geforderten Leistungen einfach nicht finanzieren kann.
Haucap schiebt übrigens gleich noch die Forderung nach Apothekenketten
in der Hand von Kapitalgesellschaften hinterher. Dass er dabei die
nachvollziehbaren Begründungen des Europäischen Gerichtshofs für eine
Beibehaltung des "Fremd- und Mehrbesitzverbotes" in Deutschland - nur
Apotheker dürfen eine Apotheke besitzen - ignoriert, liegt im Trend.
Es war nicht zu erwarten, dass die Gegner des Mittelstandes aufgeben.
Auch seine Forderung nach einer (dann notwendigen) ständigen
Fusionskontrolle der Apothekenketten kann man als
"Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für die Monopolkommission entschuldigen.
Dringend notwendig würde sie allemal sein.
Oberflächlich und ärgerlich ist hingegen Haucaps These, Apothekenketten
würden sich in ihrer Geschäftspolitik wie die Einzelapotheke verhalten.
Knappes Warensortiment, Konzentration auf lukrative "Schnelldreher",
reduziertes Personal, eingeschränktes Verantwortungsgefühl von
Filialleitern, die heute hier und morgen dort eingesetzt werden, kühle
Standortpolitik nach Kundenfrequenz - all das soll vergleichbar sein
mit dem Einsatz eines Apothekers, der um das Wohlergehen "seiner"
Apotheke vor Ort kämpft und dessen Kunden sein wichtigstes Kapital
sind? Die Monopolkommission hat ein riesiges Aufgabengebiet
abzuarbeiten. Auch andere Branchen - das Postwesen, die
Telekommunikation, die Eisenbahnen, die Elektrizitäts-, Gas- und
Wasserversorgung - wollen regelmäßig von ihr begutachtet werden.
Hauptgutachten und Sondergutachten jagen einander. Das ist viel Arbeit
- zu viel offensichtlich. Kein Wunder, dass die Genauigkeit der
Recherche, die Schärfe der Analyse und die Qualität der
Schlussfolgerungen darunter leiden.
Zu hoffen ist, dass auch dieses Mal die Regierung dem Gutachten der Monopolkommission keine Aufmerksamkeit schenkt.
WENIGER IST MEHR
Ein Kommentar der Redaktion
Die Monopolkommission mit ihren fünf Mitgliedern hat es nicht leicht.
Sie soll die Regierung in Fragen des Wettbewerbs in vielen wichtigen
Branchen beraten: Post, Telekommunikation, Eisenbahnen, Wasser, Gas,
Elektrizität, Gesundheit. Das ist zeitlich nur schwer zu schaffen. Kein
Wunder, dass man sich nur an der Oberfläche der wirtschaftlichen
Zusammenhänge einer Branche bewegen kann. Vielleicht sollte man sich
auf einen Bereich konzentrieren: Die Eisenbahnen brauchen den
Wettbewerb dringend. Dann würden die Fahrgäste auch nicht mehr bei 70
°C kollabieren.
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